Brigade Dirlewanger
Gebärde, als wollte er sich die Ohren zuhalten, um nichts mehr zu hören und zu sehen von dieser blutigen, beschissenen Welt.
Rings um seinen Stahlkasten gruppiert sind polnische Frauen und Kinder, Greise und Männer, Zivilisten, wahllos aus einem Loch getrieben, in dem sie die Angst auf Tuchfühlung gebracht hatte. Sie haben verstörte Gesichter. Manche von ihnen weinen und betteln noch. Sie wissen, daß es schlimm ist, was man mit ihnen vorhat, aber nicht, wie schlimm …
Dirlewanger sieht auf die Uhr; dann betrachtet er seine eigene Ungeheuerlichkeit, stolz bis in die Fingerspitzen. Er zieht einen Kreis um den Panzer und zwingt eine Frau mit einem kleinen Kind am Arm aufzusitzen. Sie heißt Grzes und ist seit Jahren glücklich verheiratet mit einem Mann, der als Rebell kämpft. Aber danach fragt hier keiner, und am wenigsten der SS-Oberführer. Jeder ist ihm gut genug zum Krepieren. Nicht einmal für Sippenhaftung nimmt sich Dirlewanger noch Zeit.
Es sind siebzig, achtzig. Er stellt sie auf und sagt: »So!«
Sieben Uhr achtundzwanzig. Mit einem Schlag hämmern die beiden Flügel los. Links Vonwegh, rechts Weise. Die Aufständischen erkennen den Angriff und erwidern das Feuer. Der Chef der Sonderbrigade hebt den Arm. Sechzig Sekunden noch. Er ist ein selbstherrlicher Starter, der seine Leute ins Ziel jagt. Das Ziel ist vorne. Wer nicht ankommt, ist ihm wurscht. Wer vor dem Ziel schlapp macht, wird umgelegt.
»Los!« brüllt Dirlewanger.
Der Panzer rasselt vorwärts, bleibt stecken, startet zum zweiten Mal. Die Zivilisten links und rechts setzen sich müde und ergeben in Marsch. Frau Grzes und das Kind halten sich am Turm fest. Links und rechts hängen noch andere Zivilisten in einer dichten Traube. Der Stahlsarg rollt ganz langsam. Dahinter, Gewehr in der Hüfte, kommen die B-Soldaten; manche betrunken mit fletschenden Gesichtern, mit Visagen, die man fürchten muß, und unter ihnen das Krähengesicht.
Fünfzig Meter lassen die polnischen Rebellen sie herankommen. Dann antwortet der erste Feuerüberfall, der plötzlich aussetzt. Die Gegenseite hat erkannt, auf wen sie schießt, weiß, daß ihre eigenen Frauen und Kinder von Mördern als Schutzschild benutzt werden. Manche schießen trotzdem, andere schaffen es nicht.
Der Panzer kommt näher, ist jetzt im Bereich der Pak, die gut getarnt, fast unangreifbar Ecke Ciepla-und Grzybowska-Straße liegt und über einen Richtkanonier verfügt, der es in den ersten Tagen des Aufstands schon zu legendärer Berühmtheit brachte. Er heißt Grzes und ist ein Kerl ohne Nerven, mit einer Bierruhe.
Der Geschützführer neben ihm gibt die Distanz durch.
»Lass sie herankommen!« ruft ihm Grzes zu.
Neben ihm steht ein Offizier, verfolgt durch das Glas den Angriff, verbeißt die Schneidezähne in die Unterlippe, bis das letzte Blut aus ihr weicht, möchte schreien, brüllen, alles wegwerfen, möchte sich die Pistole, die er in Händen hält, selbst an die Schläfe setzen, reißt sich zusammen. »Los!« befiehlt er dem Richtkanonier, der die Pak auf den heranrollenden Panzer richtet.
Er sieht die Frauen, die Kinder und zögert. Der Panzer rollt weiter.
»Schieß!« brüllt der Offizier.
Grzes will mechanisch folgen, starrt noch einmal auf das Ziel. Und dann treten ihm die Augen aus den Höhlen. Er erkennt, direkt neben dem Turm, seine Frau, sein Kind …
Der Mann an der Pak steht stumm da wie die Statue eines Märtyrers, mit aufgerissenen Augen, mit wirren Haaren, mit hängenden Armen, die so brettsteif sind und reglos wie die Flügel einer Windmühle in der Flaute. Auf seiner großen, schwimmenden Iris spiegelt sich der heranwalzende Tod. Die Ketten des Panzers rasseln heiser, sein Motor dröhnt zerfetzend. Das stählerne Ungetüm ist nur ein alter Panzer, längst überholt von der Kriegstechnik, aber immer noch gut genug, eine Pakstellung in den Boden zu stampfen, die sich nicht wehrt.
300 Meter noch. Feuer von rechts. Der Panzer hält ächzend, macht noch einen kurzen Satz, dreht sich schwerfällig auf einer Kette, ganz langsam und plump wie ein Elefant auf drei Beinen; Elefanten sind gutmütig, aber Panzer töten, was ihnen im Weg steht. Und dann schwenkt der Turm; die Kanone sucht ihr Ziel, ein Widerstandsnest in einer Hausruine, das die Männer des Obersturmführers Weise aufhält. Dann spuckt der Panzerturm goldene Knöpfe und Rauch. Die Wucht des Abschusses wirft die Menschen zu Boden wie Fallobst. Der Stahlsarg rollt weiter, quetscht einem alten Mann die
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