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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Beine ab und überfährt ein Kind, knallt die Fassade ein und empfängt die Heranstürmenden mit MG-Feuer. Zwei-, dreimal versuchen die Polen, sich mit einem Molotow-Cocktail heranzuarbeiten. Hoffnungslos, der Tod hat in der polnischen Hauptstadt ein blühendes Abzahlungsgeschäft errichtet.
    Von dem allen bemerkt Grzes nur, daß seine Frau Maria und sein Kind Jan nicht mehr neben dem Panzerturm angeschnallt sind. Eine Sekunde hofft er sinnlos, sie möchten entkommen, in der nächsten, sie könnten überfahren worden sein. Alles wäre besser, alles …
    Der Richtkanonier sieht nicht, daß der sinkende Arm des Offiziers neben ihm den Feuerbefehl zurücknimmt; vielleicht, weil auch er sich noch daran gewöhnen muß, auf die eigenen Eltern, auf die eigenen Kinder zu schießen, oder, weil er die in der Nacht gewechselte neue Stellung noch nicht verraten will. Noch gab sein Geschütz keinen Schuß ab, noch bleibt den Kanonieren durch das Moment der Überraschung die doppelte Feuerkraft, und noch ist es ein Kinderspiel, diesen widerlichen Stahlkasten schon mit dem ersten Schuß zu erledigen.
    Das Gesicht des polnischen Leutnants ist verzerrt. Noch ein paar Meter, noch ein paar Sekunden will er zulegen. Schließlich kann er sich auf seine Männer verlassen. Sie alle werden weiterkämpfen, bis zum Umfallen, bis zum Untergang; und sie werden sich noch mit den Fingernägeln und Schneidezähnen verteidigen, wenn schon diese verdammten Russen nicht kommen.
    Die Aufständischen in der Pakstellung bemerken es gleichzeitig und lassen die Köpfe hängen. Einer flucht, ein anderer stöhnt. Sie können sich nicht in die Augen sehen. Sie hassen sich, denn sie wissen, was sie tun müssen, und sie gehen daran kaputt, denn sie sind Menschen. Das menschliche Fallobst wird wieder eingesammelt, auf den Panzer getrieben und oberflächlich festgeschnallt. Langsam dreht sich der Stahlkasten, nimmt Kurs Pak.
    »Entfernung zweihundertzwanzig«, sagt einer der Polen. Seine Stimme turnt an der Stange. Das Reck ist der Tod. Bauchaufschwung oder Welle rückwärts. So oder so. Morden oder getötet werden. Such dir's aus! Der Krieg würfelt schnell …
    Noch eine Sekunde, noch zwei. Dann rumpelt der Panzer wieder los. Und an der Stelle, auf die Grzes zielen muß, klebt Maria, die Frau, fünfundzwanzig, dunkelhaarig, lebenslustig. Grzes kam, sah und liebte. Vor vier Jahren, irgendwo in Warschau, wo sich Studenten heimlich trafen, um sich zu amüsieren und um sich zu verschwören. Beides in einem, und es ging laut zu, zu laut. Sie hatten alle ein wenig zuviel getrunken, bis auf den Jungen, der sich abseits hielt, und das Mädchen Maria, das an den Balkon getreten war und so zuerst die herankommenden deutschen Kettenhunde gesehen hatte. Sie flitzten auseinander. Grzes und Maria hielten sich noch immer an der Hand, als sie längst außer Gefahr waren. Sie blieben zusammen. Es ging gut, trotz Krieg und Besatzung. Sie hatten wenig zu essen, nur ein winziges Zimmer. Aber alles würde sich ändern, und jetzt schon waren sie glücklich …
    »Zweihundert Meter!« ruft die Stimme schrill.
    Dem Leutnant läuft Schweiß über die Stirn. Seine Augen treten aus den Höhlen. Er versucht den Arm zu heben. Er ist gelähmt. Er probiert es noch einmal. Es geht. Er verflucht sich, weil es geht.
    Und dann war es schlimm, denkt Grzes, dann kam das Kind. Schon vorher machte der Arzt ein bedenkliches Gesicht. Sie hatten es sich beide gewünscht, obwohl Kinder einer glücklicheren Zeit vorbehalten sein sollten. Er fuhr mit ins Krankenhaus. Der Professor kam mitten in der Nacht, wie er es Grzes versprochen hatte, und er sagte kein Wort. Grzes preßte die Lippen aufeinander, bis sie ganz weiß wurden, fast eckig. Er stand am Gang, eine Stunde oder zwei oder noch länger oder noch weniger. Und er haderte mit sich, daß er es Maria nicht erspart hatte.
    Und er versprach ihr, sie glücklich zu machen, sie zu verwöhnen, wie keine zweite Frau auf der Welt sonst von ihrem Mann verwöhnt würde. Er versprach ihr, es weit zu bringen, falls alles einmal vorbei sein sollte, voranzukommen, Geld zu verdienen, nur für sie zu leben, für sie allein und das Kind, falls es ihnen blieb.
    Und dann kam der Professor und lächelte. Es war kein Bluff. Und Grzes wurde wieder der alte Glückspilz, dem alles gelang …
    »Hundertfünfzig Meter!« überschlug sich die Stimme.
    »Feuer!« erwiderte der Leutnant. Er sprach, als spuckte er die eigenen Zähne aus.
    Grzes rührte sich nicht. Er starrte

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