Brigade Dirlewanger
geläutert sei, und sie entgegnete ohne Zögern: »Ja.« Fast erleichtert stellte sie fest, daß sie nicht einmal zu lügen brauchte.
Es ging rasch, fast übergangslos; ohne Schleuse setzte man Karen wieder der Welt aus. Sie nahm es regungslos. Sie hatte mit fast unmenschlicher Disziplin alles über sich ergehen lassen. Sie wirkte schön und kalt wie eine Venus in Marmor.
Als Karen jetzt die Schritte zum Haupteingang zurücklegte, war sie noch immer beherrscht. Vor dem Portal stand ein Auto. Man brachte sie zum Bahnhof, damit sie nicht mit Bürgern von Ravensbrück sprechen konnte. So fein war man. Wenn man schon einmal einen Sklaven laufen ließ, dann gleich erster Klasse. Es kostete nicht viel Benzin, denn es kam selten vor.
Plötzlich spürte Karen das volle Gewicht ihres Körpers. Der Regen hatte aufgehört. Das Licht blendete sie, als käme sie aus der Dunkelhaft. Sie spürte, wie sich ihre Magenwände mit Übelkeit beschlugen, blieb hinter ihrem Begleiter zurück, mußte sich anlehnen, schwankte wie eine Betrunkene. Die Luft blähte ihre Lungenflügel. Die Freiheit nahm ihr die Sinne. Und auf einmal spürte sie Angst, fürchterliche Angst.
Karen wurde wie eine Puppe auf den Wagen zugezogen. Der Fahrer fuhr rasch los, um die Szene zu beenden. Karen lehnte im Fond, weinte, aber sie war frei, hatte eine Fahrkarte nach Berlin und wußte zunächst nichts damit anzufangen …
Die Zeit blieb stehen wie brackiges Wasser. Paul Vonwegh kann nicht sagen, wie lange das ungleiche Blickduell schon währt. Ihre Augen haben sich ineinander verbissen wie raufende Hunde. Die Mündung, dieses dunkle, gähnende Loch, verschwindet vor ihm. Einen Moment glaubt er, daß die Todesangst seine Lider flackern läßt. Dann erkennt er, daß es die Furcht des anderen ist, die in der Mordhand zittert. Der B-Soldat Brillmann tötet in der Theorie auch besser als in der Praxis.
Paul Vonwegh weiß es nicht. Er sieht, wie der Mann wie gelähmt vor ihm steht, am Griff nachfasst, es noch einmal versucht. Draußen ist es still, totenstill. Sekunden oder Minuten schwebt über Warschaus Arbeitervorstadt Wola Grabesruhe.
Jetzt, denkt Paul Vonwegh und spürt, wie Energie, diese unheimliche, unbegreifliche Waffe der Verzweiflung, in ihm wächst; wie er sich strafft, obwohl er sich nicht rühren kann; wie sich sein Mörder unter seinem Blick duckt, obwohl ein Mann nicht zu fürchten ist, den Geröll ankettet. Wenn B-Soldat Brillmann jetzt abdrückt, wird kein Hund nach dem Kompaniechef bellen und kein Hahn nach ihm krähen. Wenn er nicht abdrückt, bestellt er sich sein eigenes Ende frei Haus.
Brillmann weiß es auch, aber seine Hand ist klamm, sein Zeigefinger so steif, daß er fürchtet, ihn abzubrechen. Es ist nicht lächerlich, es ist unheimlich.
Aus der Stille heraus kommen Schritte. Paul Vonwegh hört sie mit den geschärften Sinnen der Hoffnung zuerst. Jetzt auch Brillmann. Er richtet sich auf, langsam wie in Zeitlupe, fährt dann erschrocken herum, zielt mit der Waffe zum Eingang dieses Trümmerhaufens. Jetzt wäre eine prächtige Gelegenheit, ihn anzufallen, ihm die MP aus der Hand zu schlagen, ihn fertigzumachen. Aber Vonwegh spürt plötzlich das Gewicht von Tonnen auf seiner linken Schulter, die er abgestorben glaubte.
Noch mehr Schritte, vier, fünf Männer. Ihre Stimmen sind schon zu hören. Sie kommen näher. Einen Moment wirkt es, als ob sie in die Ruine kämen. Dann verhalten sie wie unschlüssig.
Brillmann steht wie gehetzt. Endlich wird er mit der Lähmung fertig, stürzt sich auf sein Opfer, preßt ihm die Hand auf den Mund.
Vonweghs Kiefer schnappen zu. In dem Stoß liegt die letzte Kraft, gesteigert vom Hass, potenziert vom Lebenswillen, ßrillmann verzerrt das Gesicht.
In diesem Moment brüllt Vonwegh, so laut er kann: »Gorilla! Kirchwein! Kordt!«
Hören sie es? Keine Zeit zum Nachdenken. Jetzt hat Brillmann die Waffe in der Hand, den letzten Affekt für den Druckpunkt. Jetzt schafft er es.
Aber da sind sie schon heran: Kordt an der Spitze, dann Kortetzky, dämlich grinsend, hinter ihm die anderen. Brillmann kann sich nicht rühren. Er sieht zu, wie sie Vonwegh ausbuddeln, wie der Berg des Gerölls auf der Schulter weniger wird. Eine Minute noch, zwei, und sein Todfeind ist wieder frei und hält Gericht, formlos und schnell. Der Bindestrich stützt sich auf. Er röchelt etwas vor sich hin, als gurgle er mit seinem eigenen Grauen.
Der Gorilla betrachtet ihn und haut ihn ins Kreuz. »Fass mit an!« schreit er.
Und
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