Bring mich heim
Augenlider schließen und traumlos, gedankenlos entspannen.
Leider verfolgten mich dunkle Augen. Sie verhinderten mein Einschlafen. Warum konnten sie mich nicht loslassen? Warum konnte ich sie nicht vergessen? Sie waren geradezu vertraut. Als ob sie mich kannten. Als ob sie meine tiefsten Geheimnisse kannten. Meine innigsten Ängste. Ich wusste nicht, wie oder warum es so war, im Zug stand ich kurz vor einer Panikattacke und dann sah ich zu ihm ... Ich wurde ruhig. Dieses komische Gefühl, welches ich immer in meinem Kopf bekam, verschwand. Alles an meinem Körper entspannte sich.
Warum musste es genau er sein, der das mit mir schaffte? Er wirkte zu nett gegenüber all diesen Fakten. Vielleicht hätte ich meine Vorurteile Vorurteile lassen sollen. Einmal über meinen Schatten springen, um wieder neue Bekanntschaften zu schließen. Aber mein inneres Ich schrie zu laut, dass ich rasch von diesem Fremden weg musste. Es hatte niemand in meiner Welt etwas verloren.
Längere Zeit grübelte ich über Sam, bis ich in einen unruhigen Schlaf fiel.
Kapitel 13
Samuel – Viele Fehler
Budapest, Juni 2012
Verdammte Scheiße ... ich hätte sie nicht gehen lassen sollen. Sie irgendwie davon überzeugen, dass sie weiter mit mir sprach. Nur war ich viel zu perplex, dass sie schlussendlich doch etwas sagte. Hätte ich mir nicht gedacht, nachdem sie mich die Zugfahrt beinahe durchweg ignoriert hatte. Obwohl ich mich nach dem Schreianfall von ihr, ihr gegenübersetzte. Anfangs vermutete ich ohnehin, dass sie kein einziges Wort, welches ich sagte, verstand.
Ich blieb noch eine Weile in ihrer Reihe sitzen und wartete auf eine Reaktion. Aber es kam nichts. Sie schlief einfach. Beinahe regungslos. Ihre Füße hatte sie eng an ihren Körper gepresst. Nur wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass sich ihr Brustkorb hob und senkte.
Ich musste damit aufhören, sie so extrem zu beobachten. Ich beobachtete sie die gesamte Zeit, die ich bei ihr saß. Wie sich ihr Gesicht verspannte und wieder entspannte. Ihr Atem wurde teilweise schneller. Wirklich nur für einen kurzen Moment, danach war sie wieder ruhig. Der Gesichtsausdruck wieder zufrieden. Sie musste wohl träumen. Ich konnte sie nicht noch länger anstarren. Jemand in meiner Familie hatte mir wohl Stalkergene vererbt. Somit setzte ich mich zurück auf meinen Platz und spielte bis zum Ende der Zugfahrt auf meiner Gitarre. Irgendwelche Melodien, die mir im Kopf herumgeisterten. Zwischendurch schrieb ich diese Noten in mein zerknülltes Notenheft und zupfte leise weiter, bis der Zug sein Endziel in Budapest erreichte. Es war eine der wenigen Städte, welche ich noch nicht kannte. Darum war es klar, dass meine Reise hier beginnen musste.
Ich packte meine Dinge zusammen und wollte bereits zum Ausgang gehen. Mein Blick blieb nur schon wieder an ihr hängen. Sie schlief nach wie vor. Einfach so sitzen lassen wollte ich sie nicht. Niemand anderer würde sie wecken. Ja, irgendwann der Schaffner, wenn er vorbeiging. Nur die Gelegenheit, ein weiteres Mal etwas von ihr zu hören, ließ ich mir nicht entgehen.
Vorsichtig rüttelte ich an ihrer Schulter, bis sie ihre Augen öffnete. Es war bereits Nacht. Das grelle Licht von den Leuchten über ihr blendete sie. Sie blinzelte einige Male, bis sie ihre Orientierung wieder hatte. Und dann fing sie tatsächlich zu sprechen an. Womöglich war es auch schwer, jemanden zu ignorieren, welcher einem ununterbrochen auf den Nerv ging. Ich denke, diese Nicht-locker-lassen-Sache hatte ich gut für meine Arbeit eingetrichtert bekommen.
Sie ging zum Ausstieg, drehte sich zu mir um und sagte mit ihrer honigsanften Stimme: »Danke, dass du mich geweckt hast.« Sie hüpfte schnell die Stufen herab und sprintete fast davon. Aber ein Gerne rief ich ihr noch nach. Ruckartig stoppte sie und drehte sich um. Mit dem Kopf zu Boden gesenkt entschuldigte sie sich. »Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angefahren hab. Ich ... ich ... weißt du, es ... Ich zeige nun mal nicht gern meine Zeichnungen her.«
Sie entschuldigte sich für mein Benehmen. Das musste sie doch nicht. Ich versicherte ihr, dass ich das verdient hatte, und lächelt sie an.
»Wir starten einfach von vorne. Ich bin Samuel Winter. Aber sag doch Sam«, sagte ich und reichte ihr meine Hand. Jedoch zog sie ihre schnellstmöglich weg. Ihr Gesicht wurde kreidebleich. Verdutzt sah ich sie an. Mein Arm in der Höhe. Ein deutlich erzwungenes Lächeln kam auf ihre Lippen. Aber sie fing wieder zu reden an.
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