Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
glaubst, ich sei dieser Mann der Weisheit?«
»Ich weiß, dass du es bist«, bestätigte sie gleichmütig. »Und du musst es dir vor Augen halten, wenn du vor den König trittst.«
Ambros spürte sein Herz pochen, als wäre er gerannt. »Aber was, wenn ich etwas Falsches sage?«
»Sag einfach, was dein Herz dir rät, und vertrau auf Gott.«
Auf welchen? fragte er sich voller Ingrimm. Auf den Gott der Christen oder jenen im Schwert – oder jene Macht, der mein unbekannter Vater gedient hat? Zwar war er als Säugling getauft worden, doch manchmal vermeinte er, sein fremdartiges Blut hätte den christlichen Segen irgendwie abgestoßen. Er besuchte mit seiner Mutter die Messe, aber er spürte das Geheimnis des Geistes in den Tiefen der Wälder wesentlich stärker als innerhalb der Mauern der Kapelle.
Im weiteren Verlauf der Reise wurde Ambros sehr still, denn er hatte viel zu überdenken.
Nach zwei Tagen gelangten sie an die Küste. Von dort ritten sie gen Norden in die alten Länder der Ordovici. Bald erwies der Pfad sich als stärker bereist. Boote wurden ans Ufer gezogen, und Säcke und Ballen lagen unter behelfsmäßigen Schutzvorrichtungen gestapelt.
Sie schlugen das Nachtlager nahe des Wassers auf, und Ambros rannte umher, um sich mit den Seeleuten und Arbeitern zu unterhalten. Wenn aus ihm ein Mann der Weisheit werden sollte, musste er über alles Bescheid wissen. Und so fragte er die Seemänner, woher sie wussten, wann ein Sturm nahte, und die Bauleute, wie sie ein Fundament anlegten, und dabei merkte er sich nicht nur, was sie ihm erklärten, sondern auch ihre mitfühlenden Blicke, die seiner Aufmerksamkeit keineswegs entgingen, wie sie offenbar glaubten.
Nach drei weiteren Tagen trafen sie beim Oberkönig ein.
Ambros spürte den Hügel, noch bevor er ihn erblickte. Ein runder Gipfel, abgeschnitten von der Hügellandschaft ringsum, beherrschte das Tal. Der Osthang stieg steil an, doch die Eskorte führte sie nach Südwesten, wo sich ein Pfad in Mäandern die Anhöhe emporschlängelte. Von hier aus konnte man zum Gipfel sehen, wo die Bäume gefällt worden waren, um Platz für das Bauwerk zu schaffen. Doch da waren keine Mauern, nur jede Menge eingestürzter Steine.
Das königliche Lager erstreckte sich über die Weiden am See. Als Unterschlupf für den König war ein Rundhaus errichtet worden; rings darum befanden sich Grüppchen halbherzig gedeckter, kleinerer Gebäude, die ein wenig schief wirkten, als wären sie für eine vorübergehende Verwendung erbaut worden, die längst beendet sein sollte. Die Männer wirkten ebenso bunt zusammengewürfelt wie die Hütten.
Viele waren eingeborene Britannier aus Völkern, die er kannte – pferdegesichtige, rothaarige Kelten aus dem Süden oder der Landesmitte oder die kleineren, dunkleren Menschen aus dem Westen. Er sah Männer mit der braunen Haut ihrer Legionärsahnen aus jedem Winkel des Kaiserreichs, welche die britische Sprache mittlerweile ebenso akzentfrei beherrschten wie jeder Stammeskrieger. Doch da waren auch andere, große, muskelbepackte Krieger mit braunem oder aschblondem Haar, die sich mit tiefen, kehligen Lauten verständigten. Ambros wusste, dass sie Sachsen sein mussten, Söldner von jenseits des Meeres.
Eine neue Sprache, dachte Ambros wissbegierig. Solche Dinge lernte er rasch; das Latein der Kirchenbücher las er bereits fast so gut wie der Priester. Er fragte sich, wie schwierig es sein würde, die sächsische Sprache zu erlernen.
Die Eskorte führte sie durch das Lager und vor das große Rundhaus. Ambros spürte, wie sein Herz heftig in der Brust pochte, als er mit steifen Beinen vom Pony glitt.
»Der Vor-Tigernus ist unten am See«, verkündete der Krieger, der die Tür bewachte. Es handelte sich um einen groß gewachsenen Mann namens Hengest, Anführer der sächsischen Söldner. »Er hat gesagt, ihr sollt den Knaben zu ihm bringen, sobald ihr ankommt.«
Ambros war froh über die Gelegenheit, durch den kurzen Marsch ein wenig Gefühl in die Beine zu bekommen. Er wollte nicht, dass jemand dachte, sie zitterten, weil er sich fürchtete. Dennoch klammerte er sich unwillkürlich fest an die Hand seiner Mutter, während sie durch das Lager zum See hinabgingen.
Am Ufer stießen sie auf eine Gruppe älterer Männer, die einen weiteren Mann beobachteten, der hüfttief im Wasser stand und eine dünne Rute hielt.
»Er fischt«, erklärte einer der Männer, als Ambros fragend aufschaute. »Wir müssen still sein.«
Zu Hause
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