Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
verwendeten die Leute überwiegend Netze, mit denen sich sowohl raschere als auch bessere Ergebnisse erzielen ließen, aber gelegentlich hatte Ambros mit bloßen Händen einen Fisch gefangen; daher wusste er, wie lautlos und auf den Strom des Wassers bedacht man sein musste. Der Mann, der im See stand, regte sich zwar nicht, doch sein Geist war unruhig. Und wenn sogar Ambros dies spürte, würden es die Fische erst recht spüren. Aber vielleicht war es ihm gleich, ob er etwas fing, solange er sich nur eine Weile die anderen Menschen vom Leibe halten konnte.
Madrun unterhielt sich mit leiser Stimme mit einem großen, prunkvoll gekleideten Mann mit silbrigen Strähnen im hellen Haar.
»Das ist Amlodius, dein angeheirateter Onkel. Es scheint eine Ewigkeit her, dass wir uns zuletzt getroffen haben.« Sie wandte sich wieder dem großen Mann zu. »Geht es Argante gut?«
»Körperlich schon. Früher in diesem Jahr haben wir auf ein Kind gehofft, doch es sollte nicht sein.«
»Das ist immer hart für eine Frau«, seufzte Madrun. »Richtet ihr liebe Grüße aus, wenn Ihr zurückkehrt.«
Amlodius wollte etwas erwidern, hielt jedoch inne. Der Fischer kam herbei. Die Kopfhaut unter dem sich lichtenden, kupferroten Haar war sonnenverbrannt, der nasse Kittel klatschte geräuschvoll um seine Beine, doch niemand lachte. Anstelle der Erhabenheit, die Ambros erwartet hatte, bewegte der Mann sich mit einer Zielstrebigkeit, die auf ihre Weise ebenso beeindruckend wirkte. Ein Sklave brachte ihm einen Stuhl und nahm ihm die Angelrute ab. Ambros straffte die Schultern, als der Blick des Oberkönigs über die Gruppe hinwegstrich und an ihm haften blieb.
»Das ist der Knabe, Herr«, erklärte einer der Boten. Vitalinus bedeutete ihm vorzutreten.
»Weißt du, weshalb du hergebracht wurdest?« Seine Stimme war ein ebenmäßiger Tenor, weder warm noch kalt.
»Ihr errichtet eine Feste, und sie stürzt ständig ein. Eure weisen Männer sagen, ich könnte Euch helfen, und Ihr werdet meine Familie belohnen, wenn es mir gelingt…« Ambros zuckte die Schultern und schaute zu den beiden Männern in bunt karierten Druidenumhängen, die in der Nähe standen.
»Vielleicht, wenn du der richtige Knabe bist«, meinte Vitalinus. »Frau Madrun, wie ich höre, ist dies Euer Sohn. Ihr müsst mir ehrlich erzählen, wie er empfangen wurde.«
Madrun trat vor und stellte sich neben Ambros, der ihre Hand ergriff.
»Ich kann Euch so viel sagen, Herr, und möge Gott mein Zeuge sein: Bis ich geheiratet habe, nach der Geburt dieses Knaben, habe ich nie einem Mann beigewohnt. Gewiss hat man Euch berichtet, dass ich auf der Heimreise von der Hochzeit meiner Base eine Zeit lang im Wald verschollen war. Was mir dort widerfuhr, weiß ich nicht mehr, aber mein Sohn wurde volle zwölf Monate später geboren; folglich glaube ich kaum, dass er zu jener Zeit empfangen wurde. Während ich mich im Kloster erholte, habe ich oft von einem Mann so strahlend wie der Sonnenaufgang geträumt, der zu mir kam. Ob Engel oder Dämon, vermag ich nicht zu sagen, aber ich glaube, dass er der Vater meines Kindes und kein irdisches Wesen war.«
Neugierig schaute Ambros zu seiner Mutter auf. Hat auch sie einen unsichtbaren Freund?
»Mogantius, ist das möglich?« Der König wandte sich an seinen Hauspriester, der tief in Gedanken versunken wirkte.
»Wie Ihr wisst, habe ich die Schriften der Römer ebenso studiert wie die Kirchenväter«, erwiderte er schließlich. »Und es könnte durchaus sein. In De Deo Socratis berichtet uns Apuleius von Wesen, die zwischen der Erde und dem Mond leben und teils Menschen, teils Engel sind. Vor langer Zeit wurden sie daimones genannt, aber wir wissen, dass sie incubi sind – oder succubi, wenn sie in weiblicher Form auftreten. Es heißt, sie hätten Freude daran, Sterbliche zur Unzucht zu verleiten. Vielleicht ist einer von ihnen dieser Frau erschienen und hat den Balg gezeugt.«
»Er sieht nicht aus wie der Sohn eines Engels«, meinte Vitalinus gedankenvoll. »Aber er scheint die Prophezeiung zu erfüllen. Meine Druiden behaupten, das Blut eines vaterlosen Knaben wäre nötig, um die Grundmauern meiner Feste zu segnen. Was hast du dazu zu sagen, Ambros Niemandssohn?«, fragte er unvermittelt.
Madrun keuchte und umklammerte schützend die Schultern ihres Kindes.
Sie haben meiner Mutter nicht erzählt, wofür sie mich wollten, aber ich glaube, sie haben es Morbrinus gesagt! Ambros spürte, wie ihn heißes Entsetzen durchzuckte, langsam verebbte
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