Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Mutter hat mir die Geschichte des Schwertes erzählt, aber ich dachte, die Priesterinnen – «
»Auf der Insel der Maiden wird es wohlbehütet, doch es kann nur von jemandem aus unserem Geschlecht berührt werden. Wirst du mit mir kommen, Sohn der Madrun, und die Priesterschaft übernehmen, die dein Erbe ist?«
Einen Lidschlag lang regte sich etwas Unergründliches in den Tiefen seiner dunklen Augen; dann wurden sie wieder undurchsichtig. Er nickte; Igraine hatte das Gefühl, ihr Herz würde zugeschnürt, und sie wusste nicht, ob es aus Vorfreude oder Furcht pochte.
Als sie gen Süden ritten, war es unvermeidlich, dass Igraine sich häufig in Gesellschaft ihres Vetters wiederfand. Argante reiste in einer Pferdesänfte, Igraine hingegen ritt ein stämmiges Hügelpony, Ambros ein größeres Ross aus der alten Kavalleriezucht. Er interessierte sich für ihre Eindrücke von Ambrosius Aurelianus, der in Bannhedos mehrmals ihr Gast gewesen war, und sie zeigte sich selbstverständlich neugierig, was Vitalinus und die sächsische Frau betraf, die er geheiratet hatte.
»Sie ist zu ihrem Vater zurückgekehrt, als Hengest des Königs Vertrauen brach. Bei ihrem Volk hat eine Frau das Recht, aus der Ehe zu scheiden, und obwohl sie mit einer christlichen Zeremonie getraut wurden, glaube ich, sie war im Herzen immer noch eine Heidin. Aber es stimmt, dass sie außerordentlich schön war.«
Er runzelte die Stirn. Igraine fragte sich, ob ihn diese Schönheit erregt hatte. Ihr war aufgefallen, dass er Frauen nicht voller Lust betrachtete, so wie manche Männer, sondern so, als wären sie ein Rätsel, das es zu lösen galt.
»Im Norden gilt es als keine besondere Sünde, ein Heide zu sein«, erklärte Igraine. »Ich wurde als Priesterin erzogen, um das Erbe meiner Mutter anzutreten, obwohl es sich als nötig für uns erwies, ein Bündnis mit Dumnonia einzugehen. Vielleicht nehme ich meine Tochter und kehre hierher zurück, nachdem ich Gorlosius einen Sohn geschenkt habe.«
Er bedachte sie mit einem neugierigen Blick. »Liebt Ihr Euren Gemahl etwa nicht?«
Der bittere Unterton in ihrer Antwort überraschte sie selbst. »Liebe hat mit den Verbindungen von Fürsten wenig zu tun. Er erwartet von mir Fruchtbarkeit und Treue, dafür gewährt er mir Unterstützung und Schutz. Wie die meisten Fürsten Dumnonias treibt er Handel in Gallien. Vielleicht hat er dort eine Konkubine – ich habe ihn nie gefragt.«
Sie hielt die Augen auf die Straße vor ihr gerichtet, wo die großen, gedrungenen Hügel behüteten, was sich hinter ihnen verbarg. Die Landschaft um Luguvalium war von gerundeten Kuppen geprägt, und in Dumnonia fühlte man sich stets der Allmacht des Himmels ausgesetzt. Das Land der Seen hingegen war ein abgeschiedenes, ganz eigenes Gebiet. Wen es zu sich rief, der mochte wohl einen Pfad durch die bewaldeten Täler finden, doch kein Feind vermochte sich den Weg zu erzwingen.
»Es war nicht immer so unter unserem Volk«, meinte er schließlich sanft. »Die Druiden lehren, dass der König dem Land dient und dafür stirbt, wenn es sein muss. Doch allein durch die Königin gerät er in Berührung mit der Macht des Landes. Aber ich glaube, wir hatten seit Brannos’ Tagen keinen Oberkönig über ganz Britannien mehr, und selbst er hatte keine Tigernissa, keine Oberkönigin.«
»Meine Mutter ist die Branwen, die verborgene Königin, die um des Landes willen die Riten vollzieht, und ich vermute, dass ich jenen Mantel nach ihr tragen werde.«
»Aber was, wenn Branwen und Tigernissa dieselbe Frau wären, eine Priesterkönigin? Würde dann aus dem König nicht gleichzeitig Brannos und Vor-Tigernus, ein geheiligter König, der über ein Goldenes Zeitalter herrschen würde?« Seine Stimme zitterte, und als sie sich ihm zudrehte, sah sie, dass auch er auf die heiligen Hügel starrte.
»Habt Ihr das in einer Vision geschaut?«, erkundigte sie sich leise.
»In einer Vision?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe zuverlässigere Wege erlernt, um vorherzusagen, was die Zukunft bereithält – und die Magie, um es, wenn nötig, herbeizuführen.«
Im Verlauf der Reise ließ Igraine sich seine Worte weiter durch den Kopf gehen. Er hörte sich überaus selbstsicher an, doch Ambros war von Natur aus ein halb mystisches, halb magisches Wesen. Wenn er überheblich wirkte, so hatte er allen Grund dazu. Was sie selbst anging, als jüngste und in ihren Augen geringste Nachfolgerin einer langen Reihe von Priesterinnen, welche Macht konnte sie
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