Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
gelegt zu werden. Der Hammer sauste nieder, zerschmetterte seine alte Gestalt und formte ihn neu. Endlich begriff er, was die Atome sein mussten, von denen die alten griechischen magi geschrieben hatten; denn er spürte, wie jedes Atom seines Körpers sich unter den Hieben neu ausrichtete. Und als er aufschaute, sah er, dass der knorrige Schmied sich irgendwie in eine strahlende Göttin mit Haaren aus Flammen verwandelt hatte.
»Du warst ein roher Klumpen, doch ich habe aus dir eine mächtige Waffe für die Hand des vorherbestimmten Königs erschaffen. Aber lass den Fürsten, der sich deiner bedient, ruhig wissen, dass die Wahrheit ein zweischneidiges Schwert ist…«
Dann wurde er vom Amboss gehoben und in etwas Weiches, Warmes gehüllt, und er versank in einen Schlaf der Dunkelheit, der zu tief für Träume war.
Langsam erwachte Ambros. Sein Leib schmerzte, als wäre er überall geschlagen worden, doch zumindest hatte er es warm. Ein Auge öffnete sich, dann das andere. Er lag in einen Umhang gehüllt auf einem Bett süß duftenden Grases, doch über sich und zu beiden Seiten sah er Stein. Schaudernd erkannte er, dass er sich in der Mulde befand. Er drehte sich um und erblickte am Ende des Durchgangs ein Rechteck fahlen Himmels. Holzrauch stieg ihm in die Nase, gefolgt von Fleischgeruch; sein Magen rumorte.
Mühsam befreite er sich von dem Umhang und kroch auf das Tageslicht zu.
Draußen loderte das Feuer, so wie er es in Erinnerung hatte. Doch da war kein Karren mehr, nur noch ein schlammbespritztes Pferd, das sich am Gras gütlich tat. Blinzelnd spähte er auf den Mann, der am Feuer saß und Wildbret an Spießen über den Flammen briet. Die breiten Schultern wirkten vertraut, aber sie gehörten nicht dem Schmied. Es war Hengest, der dort hockte.
Der Sachse hob einen Fleischspieß aus dem Feuer und reichte ihn Ambros. Ambros’ Begegnung mit dem Schmied war wohl nur ein Traum gewesen, denn er war hungrig wie ein Wolf.
»Wie hast du mich gefunden?«, wollte er wissen, nachdem er das erste Stück gegessen hatte und an einem zweiten kaute.
»Ich bin dem Weißen Pferd gefolgt«, lautete die Antwort. »Für mein Volk ist der weiße Hengst heilig. Die Art, wie er läuft, verrät den Priestern, was kommen wird. Wenn ein Stamm weiterziehen muss, lässt er den Hengst manchmal frei und folgt ihm. Auch du siehst die Zukunft – ich wusste, er würde mich zu dir führen.«
»Hat dich der Vor-Tigernus hinter mir hergeschickt?«
»Mein Herr ist alles andere als glücklich.« Hengests Lippen zuckten unter dem grauen Schnurrbart. »Aber in dieser Sache herrscht er nicht über mich.« Der Blick seiner blauen Augen bohrte sich in den Knaben. »Unsere weisen Männer lehren, dass Woden, der die Kampfeswut verleiht, die Männer zum Sieg trägt, auch dem Sänger die Gesätze eingibt und dem wite ga, dem Seher, die Geistersprache. Ich glaube, dass du dem Gott gehörst.«
Stirnrunzelnd ergriff er ein Grasbüschel. Dunkle Erde zerbröckelte zwischen seinen Fingern, als er den Klumpen hochhob. »Dies ist ein gutes Land, und mein Volk lechzt nach einer Heimat. Du hast gesagt, der Weiße Drache würde den Sieg erringen.«
»Ich erinnere mich nicht«, flüsterte Ambros.
»Dann hat der Gott dir die Worte in den Mund gelegt. Dieses Land wird uns gehören und wir diesem Land.«
Ambros schüttelte den Kopf, wollte es verleugnen, doch die Steine des Grabhügels, die so viele Völker vorüberziehen gesehen hatten, bestätigten ihm, dass es so sein würde.
Weder erhob Ambros Einwände, als Hengest ihn zurück zu Vitalinus brachte, noch wiederholte er, was der Anführer der Sachsen ihm anvertraut hatte. Der Vor-Tigernus hatte die Prophezeiung gehört; wenn er Ambros schon nicht glaubte, während er von jener höheren Macht beseelt war, schien es höchst unwahrscheinlich, dass er dem Knaben bei gewöhnlichen Sinnen Beachtung schenken würde. Doch von jenem Tag an mied Ambros die Sachsen.
Eine Zeit lang wagte Ambros zu hoffen, er hätte sich geirrt.
Mittlerweile wuchs er rasch, als hätten die Hammerhiebe des Schmieds – oder Govannons und Brigantias selbst, sofern er nicht geträumt hatte – seine Glieder gelöst, die jeden Tag länger zu werden schienen. Hengests Sohn Octha und ein Häuptling namens Ebissa, Hengests Neffe, wurden ausgesandt, um die Länder unterhalb des Walls zu besetzen, und die Pikten verharrten bei den eigenen Herden. Ambrosius wagte nicht, den Vor-Tigernus neuerlich herauszufordern.
Doch während
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