Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Gemetzel eine Gestalt mit Uthers braunem Haar reiten, in der Hand ein leuchtendes Schwert. Wo der Strahl der Waffe hinfiel, bedeckten die Sachsen die Augen und flüchteten, die Briten hingegen erhoben sich wie Seelen am Tag des Jüngsten Gerichts und stimmten Jubelrufe auf den Hochkönig an.
»Das Schwert der Könige…«
Sie erwachte im Morgengrauen, den Namen der Waffe auf den Lippen. Ihr Traum verblasste, doch das Bild jener lodernden Klinge blieb ihr vor Augen. Sie setzte sich auf und zog die Decken gegen die morgendliche Kühle um sich.
Dann fällte sie einen Beschluss. »Ich hole das Schwert von der Insel der Maiden. Seine Macht wird den Hochkönig heilen!«
Dem Haus des Schwertes haftete jene unerklärliche Modrigkeit und Leere an, die man häufig an selten benutzten Orten antrifft. Was freilich die Leere betraf – Igraines Blick wanderte zu dem verhüllten Schemen in der Mitte der Kammer. Obwohl das Schwert verhüllt war, spürte sie die Anwesenheit des Gesegneten, den es beherbergte, doch die Energie der Sarmaten-Klinge wirkte gedämpft, als träumte sie. Mit angespannt gerunzelter Stirn wandte sie sich wieder dem Fegen zu. Es war immer ihre Aufgabe gewesen, diese Kammer zu putzen, als sie noch auf der Insel gelebt hatte. Heute aber würde es anders sein. Heute würde sie das Schwert aus dem Stein ziehen.
Everdila hatte versucht, sie davon abzubringen, doch sie konnte sich dem Willen der Königin nicht widersetzen. Morgause hätte vermutlich ebenso Einwände erhoben, denn sie hatte nie besondere Liebe für Uther empfunden, aber Morgause war nun Leudonus’ Zuchtstute.
Igraine hatte alle Vorkehrungen mit äußerster Sorgfalt getroffen. Die alte Scheide war vor Jahren zu Staub zerfallen. Stattdessen hatte sie eine eisengebundene, mit Samt ausgekleidete Truhe vorbereitet, um das Schwert darin aufzubewahren. Seit einer Woche hatte sie kein Fleisch gegessen, heute überhaupt nur Wasser getrunken. Zwar reichte ihr Wissen über die Sterne nicht an das von Merlin heran, aber sie wusste genug, um eine günstige Konstellation zu berechnen und dieses Ritual bei zunehmendem Mond zu vollführen.
Nachdem sie die Kammer gesäubert hatte, ging sie zurück zum See, um sich selbst zu reinigen, und schauderte, als das frostige Wasser ihre Haut berührte. Nur das Klatschen der sanften Wellen gegen das Ufer durchbrach die Stille, die über dem See lag. Oft hatte sich Igraine der Eindruck aufgedrängt, die großen Hügel spendeten Ruhe wie die Sonne Licht. Hier war es einfach, der Stimme der Seele zu lauschen. Vielleicht hatten die Priesterinnen diesen Ort deshalb zu ihrem Allerheiligsten erkoren.
Sie kauerte sich auf die Fersen und ließ die kühle Morgenluft ihre Haut trocknen. Ich mag wohl eine Großmutter sein, aber ich bin immer noch jung und stark. Und das Schwert wird meinen Geliebten heilen! Dies war die Stimme ihres Willens, und sie wusste es. Doch sofern ihre Seele eine andere Weisheit kundzutun hatte, vermochte Igraine sie selbst in dieser Stille nicht zu hören.
Als die Sonne sich gegen Mittag ihrem Höchststand näherte, legte Igraine ihre scharlachrote Robe an und betrat das Haus des Schwertes. Zwölf dunkel gekleidete Priesterinnen standen in einem Kreis um sie, sangen leise und bezogen Kraft aus der Erde, so wie sie von ihnen Kraft bezog.
»Cocidius, Belutacadros, Mars der Soldaten«, flüsterte sie.
»Erhöre und segne uns…«, erklang die Litanei der Priesterinnen.
»Stern der Hoffnung, Hand der Gerechtigkeit, Säule der Macht…« Und tatsächlich spürte Igraine, wie die Macht wuchs; mittlerweile hörte sie die anderen Frauen kaum noch.
»Schwert des Verteidigers, Schwert der Könige, Schwert Gottes!«
Sie drehte dem roten Hahn den Kragen um; Blut spritzte auf den Stein, und dann, als die Sonne in der Welt draußen ihren Höchststand erreichte, legte sie die Hände um den Griff des Schwertes, drehte es und zog es aus dem Stein.
»Für Britannien ziehe ich diese Klinge und für den rechtmäßigen König des Reiches!« Mit zitternden Armen hob sie die Waffe empor, und der schimmernde Stahl ließ das Licht der Fackeln in roten Blitzen durch die Kammer zucken.
Die Priesterinnen wichen zurück, Igraine hingegen stand da und erschauerte, als sie versuchte, der Sturmflut der Macht Herr zu werden. Hinter den geschlossenen Lidern sah sie Städte lodern; sie sah einen blutroten Himmel, schwingende Schwerter und blutige Speere. Gleich würde der Blutrausch der Klinge sie überwältigen – und in
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