Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
sein Alter, und Merlins Kraft überstieg jene eines Menschen bei weitem. Auf leisen Sohlen trug ihn der Druide hinfort.
Seine langen Schritte führten ihn durch den Wald und in das nächste Tal, über einen zweiten Hügelrücken und hinab in Wälder, die neben einem anderen Bach wuchsen, der so wie der erste in den Wae mündete, jedoch einige Meilen entfernt. Dort stieß er unter einer Eiche auf einen Blätterhaufen, auf den er den Knaben behutsam bettete. Leise singend, schritt er im Kreis um den Jungen und versiegelte den Kreis mit einem Bann.
Dann kletterte er auf den Baum und zog die langen Beine auf einen Ast, dessen Blätterwerk verhindern würde, dass man ihn vom Boden aus leicht sah. Zwar gestattete seine Lage keinen tiefen Schlummer, doch während die Zeit von Mitternacht auf die Morgendämmerung zukroch, glitt er, zwischen der Erde und den Sternen kauernd, in einen Zustand zwischen Wachen und Schlafen.
In jenem Traum schwebte sein Geist über der Lichtung. Mit den Augen des Geistes sah er die Lebenskraft, die durch jeden Baum floss; jedes Blatt zeichnete sich leuchtend ab. Und während er beobachtete, wurde das Licht stärker, verwandelte sich in Schemen, die sein Verstand zu menschlichen Gestalten ausdeutete, als sie sich aus den Bäumen lösten. Merlins Kreis sollte alles Böse bannen, doch so wie das Land selbst, standen diese Wesen über Gut und Böse. Die Haselsträucher, die grünen Kräuter, sogar die Grashalme besaßen Geister, und sie alle scharten sich um den schlummernden Knaben.
Waren sie bloß neugierig, oder zog etwas in dem Jungen sie an? Während Merlin sich dies fragte, sah er, wie Artors Lebenslicht pulsierte und sich der Geist des Knaben, wie es häufig im Traum geschieht, vom Körper löste und emporstieg, allein durch einen silbrigen Strang mit dem Leib verbunden. Der Junge lachte vor Freude, als er jene leuchtenden Wesen rings um sich erblickte, und sie verneigten sich – aus Ehrfurcht oder um ihn willkommen zu heißen?
Der gurgelnde Bach bildete eine leise Hintergrundmelodie für das Zirpen der Grillen, als die Baumgeister zu tanzen begannen. Zunächst beobachtete Artor sie nur wie gebannt, doch alsbald zogen sie ihn in ihren Kreis. So tanzten sie weiter, bis der Mond hinter dem Hügel verschwand. Dann verschmolzen die strahlenden Geister einer nach dem anderen wieder mit Busch oder Baum, bis nur noch der Geist der Eiche zurückblieb. Er war es, der den Geist des Knaben zu dem schlummernden Leib zurück begleitete, danach fügte er sich wieder in den mächtigen Stamm des Baumes.
Als Merlin erwachte, war es kurz nach Sonnenaufgang, und der Blätterhaufen, der Artor bedeckte, regte sich. Der Druide spähte durch die Zweige und beobachtete, wie der Junge sich aufsetzte und sich die Augen rieb. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, dass der Druide nicht auf der anderen Seite des Feuers lag und dass dies weder die Lichtung noch der Bach war, neben denen er in der Nacht zuvor eingeschlafen war. Merlin sah, wie die Augen des Knaben wachsam, ruhig um sich blickten, zählte die Lidschläge, bis Artor begriff, dass er sich in keiner unmittelbaren Gefahr befand, obgleich er sich vermutlich verirrt hatte.
Er rappelte sich auf die Beine und strich sich die Blätter von den Kleidern. Dann erleichterte er sich mit instinktiver Höflichkeit, deren Ursprung seinem bewussten Verstand verborgen blieb, an einen Stein anstatt an einen Baum. Schließlich ging er hinunter zum Bach, um zu trinken. Dort verharrte er eine Weile und beobachtete das auf die Bäume scheinende Licht der Sonne.
Gut, dachte der Druide. Er orientiert sich am Winkel des Sonnenlichts.
Die erste Probe hatte Artor bereits bestanden, indem er weder geweint hatte, noch schreiend im Kreis gelaufen war, obwohl sein Gesicht recht blass wirkte. Nun schickte er sich an, eine zweite zu bestehen, indem er Schilfrohre aufschnitt, deren zartes Mark essbar war, und einige große Frösche fing, die sich dazwischen versteckten. Er sammelte Zunder, und es gelang ihm, ihn mit einem Funken seiner Feuersteine zu entzünden; alsbald brutzelten die Froschbeine an Stöcken über dem Feuer. Ein paar ziemlich zermatschte Himbeeren aus seinem Gurtbeutel vollendeten das Mahl – ein besseres Frühstück, als es dem Druiden beschieden war, der immer noch auf dem Baum hockte.
Dann, als die Sonne hoch genug stand, um einen ordentlichen Schatten zu werfen, löschte der Knabe das Feuer und vergrub die Reste seines Mahls, bevor er seinen Umhang
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