Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
auch ihre goldene Wappenbrosche war mit Granatsplittern besetzt. Igraine erinnerte sich an die Zeit, als sie selbst sich noch mit Juwelen zu schmücken pflegte. Seit Uther gestorben war, trug sie nur noch Schwarz.
Morgauses Röcke wallten, als sie sich umdrehte, um sich wieder ihrer Mutter zuzuwenden.
»Das könnte man gegen jeden von ihnen vorbringen. Zumindest hat Leudonus ein Reich. Ich werde Tigernissa sein, und dann bist du damit dran, Mutter, auf der Insel der Maiden zu hocken und die Welt an dir vorbeiziehen zu lassen!«
»Oh, die Herrin vom See vermag ein wenig mehr auszurichten als das«, entgegnete Igraine angespannt. »Hast du denn gar nichts gelernt, als du dort warst?«
»Ich habe jede Menge gelernt. Und im Norden, wo man Königinnen verehrt, lerne ich noch mehr. Leudonus’ Mutter war eine Prinzessin der Pikten, die ihre Abstammung von der weiblichen Linie bilden. Die Frauen wählen ihre Gatten aus, um das Land zu verteidigen, aber sie selbst sind die Quelle der Macht.«
Igraine griff ihren Stickrahmen wieder auf und vollführte ein, zwei Stiche. Was Morgause gesagt hatte, stimmte mit den geheimen Lehren der Insel überein, aber Südbritannien war zu lange römisch gewesen, und die Männer, die darüber herrschten, hatten zu viele Dinge vergessen.
»Weder Königin noch König sind die Quelle der Herrschaft«, meinte sie schließlich, »sondern die Göttin allein, welche die Herrin des Landes ist. Vergiss das nicht, Tochter. Was immer ich getan habe oder du tun wirst, wir sind lediglich Ihre Stellvertreterinnen.«
Morgause antwortete mit einem recht seltsamen Lächeln. »Oh, ich habe es nicht vergessen. Aber in den nördlichen Landen trägt die Herrin bisweilen ein anderes Gesicht…«
Igraine zog eine Augenbraue hoch, doch bevor sie nachhaken konnte, hörte sie am Eingang Stimmen, und eine andere Frau, in ein staubblaues Kleid samt Schärpe gekleidet, betrat das Atrium, gefolgt von einem schlaksigen Jungen.
»Domina…« Sie brachte Igraine ihre Ehrerbietung dar, dann, nach kurzem Zögern, auch Morgause. »Ich weiß nicht, ob Ihr Euch an mich erinnert, denn es ist viele Jahre her – «
»Selbstverständlich erinnere ich mich! Du bist Flavia, die Ehefrau des Gaius Turpilius.« Und tatsächlich, obwohl Flavias Figur ein wenig mütterlicher geworden war, hatte sie sich eigentlich kaum verändert. »Ich bin froh, dass du und dein Gemahl gekommen seid. Man wird seinen Scharfsinn beim Rat brauchen.«
Flavia nickte. »Er und Gai sind unten auf der Weide, wo die Krieger ihre Stärke bei Spielen unter Beweis stellen. Gott gebe, dass daraus kein Schlachtfeld wird!«
»Kämpft dein jüngerer Sohn denn nicht?«
Einen Lidschlag lang wirkte Flavia bekümmert, dann lächelte sie. »Er ist erst fünfzehn, obwohl er größer ist als Gai. Er hat noch genug Zeit zu kämpfen, wenn er in seine Knochen hineingewachsen ist…« Liebevoll betrachtete sie den Knaben, der rot anlief, als ihm bewusst wurde, dass er den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit verkörperte.
Er erinnerte Igraine an ein junges Fohlen, schien nach wie vor bloß aus Beinen und Hals zu bestehen, gleichzeitig aber Anmut und Schnelligkeit zu verheißen. Zumindest haftete seiner Haut nicht der Makel jener Flecken an, der so viele Burschen seines Alters quälte.
»Wenn er Zeit hat, könntest du ihn mir vielleicht als Begleitung leihen«, meinte sie zu Flavia. »Ich habe keinen richtigen Haushalt mehr, und durch das Eintreffen der Häuptlinge ist die Stadt ziemlich bevölkert.«
»Übervölkert geradezu…«, warf Morgause mit sanfter Stimme ein, während sie die Neuankömmlinge musterte.
Igraine beäugte sie mit gerunzelter Stirn. Wieso kümmerte es Morgause, dass ihre Mutter diesem schlaksigen Knaben mit Freundlichkeit begegnete? Dennoch war es unverkennbar so. Sie wünscht sich immer noch meinen Zuspruch, dachte die Königin, ungeachtet all ihrer stolzen Worte.
»Es wäre mir eine Ehre.« Zum ersten Mal erhob der Junge die Stimme. Sofern es ihm widerstrebte, zu den Damen abgeschoben zu werden, war er zu wohlerzogen, um es sich anmerken zu lassen.
»Komm morgen zu mir«, forderte Igraine ihn auf. »Du kannst mich zu den Spielen der Krieger begleiten.«
»Meine Kinder in Christo, ich habe euch an diesen Ort gerufen, um über die Sicherheit eurer Kinder und die Zukunft dieses Landes zu beraten.«
Bischof Dubricius stand auf dem Podium am Ende der Basilika, erhellt vom Licht der oberen Fenster, das die goldenen Stickereien seiner Roben
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