Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
lang in einer Stadt verweilt hatte, dann in einer anderen, bis sie nach Isca in Demetia gelangte, wo Bischof Dubricius sie willkommen geheißen hatte.
Igraine hatte es nicht eilig, weiterzureisen, denn was blieb ihr schon, selbst am See, außer ein leeres Dasein zu verleben und den Tod der Freude Britanniens und ihrer eigenen zu be trauern?
Heute aber erfüllte sie wieder Hoffnung, Hoffnung und das Fragment einer Prophezeiung. Bischof Dubricius galt als weiser Mann. Vielleicht konnten sie gemeinsam einen letzten Versuch unternehmen, die einander bekriegenden Fürsten zu überreden, nach Einheit zu streben.
In Calleva war man beinahe versucht zu glauben, die Römer hätten die Insel nie verlassen. Die Mauern der Stadt waren noch ganz, das Amphitheater lediglich ein wenig überwuchert, die anmutigen Häuser inmitten der Gärten und Obstgärten immer noch die Heime kultivierter Menschen. Zudem war der Ort günstig gelegen, weit genug westlich, um sich außerhalb der unmittelbaren Reichweite sächsischer Brandschatzer zu befinden, dennoch durch gute Straßen mit dem Rest des Landes verbunden. Sofern es nur einer nächtlichen Laune entsprungen war, die Fürsten Britanniens an diesen Ort zu rufen, dachte Igraine, dann einer höchst nützlichen.
Denn die Kriegsherren und Häuptlinge und Friedensrichter trudelten ein.
Während der zwei Jahre seit Uthers Tod hatte es keine oberste Befehlsgewalt mehr gegeben. Nachdem Hengest sich vom schmerzlichen Verlust Octhas erholt hatte, setzte er seinen Enkel Oesc als Erben ein, und wenngleich er selbst nicht mehr in die Schlacht zog, fielen die Häuptlinge, die er aus Germanien gerufen hatte, in Windeseile über ihre britischen Nachbarn her. Im Norden waren Colgrin und Baldulf ein Bündnis mit den alten Feinden, den Pikten und Skoten eingegangen und erweiterten ihren Einflussbereich. Im Westen kämpften die Fürsten Demetias und Gwenets gegen die Männer aus Erin und gegeneinander.
Doch nun, nachdem die ersten Winterstürme der Zeit der Feldzüge ein Ende setzten, hatten die Briten schlechten Straßen und üblem Wetter getrotzt, um sich in der alten civitas der Atrebates einzufinden. Den Häuptlingen und deren Familien wurde in den besseren Häusern der Stadt Gastfreundschaft gewährt, während die niedrigeren Fürsten und gentiles ein Lager aufschlugen, wobei ihre Männer draußen auf dem Feld verblieben. Sogar Leudonus hatte seinen Sippenältesten die Verantwortung über die Länder der Votadini übertragen und war nach Süden zu dem Konklave gereist, und mit ihm Morgause.
Igraine saß im Atrium des obersten Friedensrichters, das Sträucher in Töpfen und spät blühende Blumen zierten, als leichtfüßige Schritte auf den Kacheln ihre Aufmerksamkeit erregten und sie sah, dass ihre Tochter eingetroffen war.
Obwohl das Atrium windgeschützt war, flatterten Morgauses Kleider vor unterdrückter Bewegung. Ehe und Mutterschaft taten ihr eindeutig gut. Was das Mädchen im Gesicht an kindlicher Weichheit verloren hatte, wogen die Brüste wieder auf, und ihre Gesichtsfarbe wirkte kerngesund. Plötzlich runzelte Igraine argwöhnisch die Stirn.
»Morgause, bist du schon wieder schwanger?«
Rasch zog Röte über das Antlitz des Mädchens, dann legte sie die Hände auf den Bauch und lächelte.
»Ich werde in vier Jahren Ehe drei Kinder haben. Du hast in all den Jahren als Eheweib nur zwei hervorgebracht!«
Igraines Augen weiteten sich ein wenig ob des Hohns; sie hatte nicht gewollt, dass ihre Worte sich missbilligend anhörten – na ja, jedenfalls nicht sehr.
»Ich beglückwünsche dich dazu, dass du eine jener Frauen bist, die zum Kinderaustragen geboren sind.« Mühevoll brachte sie ein Lächeln zustande. »Dein Gemahl muss hocherfreut sein.«
»Ich werde ihm genug Söhne schenken, um den Norden allein mit der Frucht meines Leibes zu verteidigen! Oder vielleicht werden sie über ein noch größeres Reich herrschen. Uther wollte doch, dass Leudonus sein Erbe wird.«
»Gewiss hat er Leudonus’ Fähigkeiten als Heerführer geschätzt«, erwiderte Igraine ruhig. »Aber die Fürsten des südlichen Britanniens finden wohl, dass sein Reich zu weit entfernt liegt.«
Morgause zuckte mit den Schultern und schritt über den Steinboden. Ihr Umhang war scharlachrot gefärbt, nicht in jener Farbe, die sich bei ihrer Hochzeit so sehr mit ihrem Teint geschlagen hatte, sondern in einem Ton, der an gallischen Wein erinnerte. Schwere Ringe aus Gold und Granat hingen in ihren Ohrläppchen,
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