Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Leuchten war, das die Klinge erglänzen ließ.
In jenem Licht betrachtet, veränderte sich auch Artors Antlitz; die gestrenge Erhabenheit eines Königs überlagerte die unfertigen Züge des Knaben. Er senkte das Schwert und zog die scharfe Schneide neben dem anderen Schnitt über den Unterarm. Abermals troff Blut auf den Stein.
»Es spricht zu mir…«, murmelte er. »Zuvor hat es nur geflüstert…« Er presste die flache Seite der Klinge auf die Wunden, und als er die Waffe anhob, prangten dort zwei weiße Narben. Danach richtete er sich auf und legte das Schwert quer über seine Handflächen
»Mein Sohn«, ergriff Igraine das Wort, »was spricht es?«
»Es sagt, die Macht zu verteidigen ist dieselbe wie die Macht zu zerstören. Die eine muss die andere ausgleichen. Es sagt… es sei ein Schwert der Gerechtigkeit, das keine Lügen erträgt.« Sein blauer Blick wanderte empor in Leudonus’ Antlitz, und der ältere Mann konnte die Augen nicht abwenden. »Streckt die Hand aus, Fürst, und beweist, ob Euer Argwohn gegen dieses Schwert richtig oder falsch ist.«
Leudonus mangelte es gewiss nicht an Mut, doch als er sich Artor näherte, verlangsamten sich seine Schritte, so als kämpfe er sich gegen heftigen Wind voran. Dennoch brachte er es zuwege, den goldenen Griff eine volle Minute zu umfassen, ehe seine Züge sich vor Pein verzerrten und er die Hand wegriss.
»Versucht nie wieder, das Schwert an Euch zu nehmen. Von dieser Stunde an bis zum Ende seines Lebens wird es einzig die Berührung des Verteidigers erdulden«, verkündete eine neue Stimme.
Alle wandten sich um. Merlin stand auf seinen Stab gestützt im Eingang. Sein Haar und Bart waren gewachsen, und er trug lediglich einen Lederkilt, aus seinen Augen aber blickte nicht mehr der Wilde Mann.
»Ich entriss ihn seiner Mutter Brust und gab ihn Turpilius, auf dass er ihn aufzog. Er ist Igraines Sohn.«
»Aber ist er auch Uthers Sohn?«, hakte Leudonus nach, der sich allmählich erholte. »Soweit ich gehört habe, war es Gorlosius, der sie in Dun Tageil besucht hat.«
»Es war Uther, in Gorlosius’ Maske«, widerlegte Merlin. »Gorlosius selbst war bereits tot, als der König zu ihr kam.«
»Dann war es kein Ehebruch«, flüsterte jemand. »Seht sein Gesicht – wer sonst könnte er sein außer Uthers wahrer Sohn? «
»Er ist noch sehr jung – «, setzte Eldol an.
»Dann könnt Ihr ihn ja beraten«, herrschte Igraine ihn an. »Spielt es denn eine Rolle, ob er mein Sohn oder vom Himmel gefallen ist? Seit vielen Generationen hat meine Familie dieses Schwert behütet. Nun hat es seinen König auserkoren.«
Sie wandte sich an Artor. »Nimmst du das Vertrauen an, das jene Klinge in dich bekundet hat? Schwörst du, nicht ein Gebiet, nicht einen Stamm, nicht einen Glauben, sondern die Gesamtheit dieser geheiligten Insel zu verteidigen? «
Artor kniete vor ihr nieder, das Schwert aufrecht vor sich. Aus seinem Gesicht sprach Hochgefühl, Schrecken und Freude.
»Ich schwöre es bei dieser heiligen Klinge…«
NACHWORT
König Artus – Legende und Wirklichkeit
Die meisten der modernen Geschichten um König Artus beruhen auf der frühneuenglischen Fassung von Sir Thomas Malory, die 1485 als eines der ersten gedruckten Bücher von William Caxton unter dem französischen Titel Le Morte Darthur (›Der Tod des Artus‹) veröffentlicht wurde. Darin wird ein hochmittelalterliches Königreich beschrieben, wie es nie existiert hat – eine Welt der Turniere und der schönen Frauen, doch auch gezeichnet von Brutalität, Totschlag, Vergewaltigung und Inzest, verbunden mit der Hoffnung auf ein ideales Jenseits, das zu erringen das höchste Ziel eines Menschen war.
Die Hauptquelle für Malory war die lateinische Historia Regum Britanniae (›Geschichte der Könige Britanniens‹) des Geoffrey von Monmouth, entstanden um 1135. Dies war eines der populärsten Bücher des Mittelalters, nicht nur in England, sondern in ganz Europa. Ein Großteil dieses Buches wird von der Geschichte König Artus’ eingenommen, dessen Reich die Blüte der Errungenschaften Britanniens darstellt. Geoffrey verbindet darin Mythen und Legenden mit halb verstandenen historischen Überlieferungen, und es ist schwer zu sagen, wo die Legende aufhört und die Geschichte beginnt. Er inspirierte Sänger und Dichter, und jede Epoche hat seitdem ihr eigenes Bild von König Artus entworfen: von den Romanzen des Mittelalters und den Theaterstücken der Renaissance, die seine Geschichte als
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