Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
schuld, dass du nicht hier bist, um mich davon abzuhalten, dachte sie trotzig. Wenn tatsächlich unser Blut in ihm fließt, wird er das Schwert ziehen!
»Es war nett von Artor, dir zu helfen«, meinte sie zu Gai, der immer noch da stand.
»Oh, na ja, manchmal hat er schon komische Ideen, aber er ist trotzdem ein netter Bursche.«
Keine schlechte Empfehlung von einem älteren Bruder, sagte sie sich und versuchte abzuschätzen, wie lange der Knabe brauchen würde, um das Tor zu erreichen und die Kapelle zu finden. War er bereits dort? Konnte er die Klinge ziehen, und falls es ihm gelang, fragte sie sich voll plötzlicher Furcht, was würde dann geschehen?
Eine Ewigkeit schien zu verstreichen, ehe sie seine hochgeschossene Gestalt jenseits der Wiese erspähte, aber Gai wirkte überrascht darüber, dass er den Weg so rasch bewältigt hatte. Artor rannte nicht, er ging, und in den Armen trug er ein in seinen Umhang gehülltes Bündel. Er schien benommen, wie jemand, der in allzu grelles Licht geblickt hat.
Igraine fühlte, wie ihr Herz abermals jenes heftige Pochen anstimmte.
»Was ist denn los? Bist du zu schnell gerannt?« Gai eilte ihm entgegen. »Warte, ich nehm’s dir ab!«
Einen Augenblick zögerte Artor, dann ließ er das Bündel los, und Gai suchte nach dem Griff.
»Aua! Ich hab’ mich verbrannt!«
Die Klinge glitt ihm aus den Händen, und Artor bückte sich, um sie aufzufangen, bevor sie zu Boden fallen konnte. Igraine stieß einen Atemzug aus, den sie unwissentlich angehalten hatte; plötzliche Tränen trübten ihre Sicht.
»Das ist nicht mein Schwert!« Gai nahm die schmerzenden Finger aus dem Mund. Artor blickte hilfesuchend zu Igraine.
Sie erhob sich und stählte ihre Stimme, obwohl ihre Sicht in Wogen kam und ging, als schaute sie durch flackerndes Feuer.
»So ist es, und das wird es auch nie sein. Es ist das Schwert der Könige, das Artor hält, die Schicksalsklinge, die der Verteidiger Britanniens tragen soll. Durch sein Blut ist er der rechtmäßige Erbe. Diese Bestimmung stand bereits vor seiner Geburt in den Sternen geschrieben!«
Ihre Knie gaben nach, und sie setzte sich wieder, doch sie hatte genug verkündet. Überall scharten sich Menschen. Gaius Turpilius eilte herbei. Sein Antlitz erbleichte, als er Artor das Schwert halten sah.
»Arktos, Junge, wo hast du diese Klinge her?«
»Ich habe sie in der Kapelle neben dem Tor gefunden. Vater, habe ich etwas falsch gemacht? Sie hat gesagt – « Er verstummte, denn Gaius, der den Triumph in Igraines Augen erkannt hatte, war vor ihm auf ein Knie gesunken.
»Junge, der Druide hat mir gesagt, du wärst von hoher Geburt, nun aber sehe ich, dass du edlerem Geblüt entstammst, als ich je geträumt hätte!«
»Vater, steh auf! Ich verstehe das alles nicht!«
»Was er meint, Artor, ist, dass du mein Sohn bist, gezeugt von Uther, dem Hochkönig«, erklärte Igraine mit bebender Stimme. »Unser Sohn, den wir Merlin anvertraut haben, als du noch ein Säugling warst, auf dass er eine Ziehfamilie für dich fände, bei der du wohlbehalten aufwachsen konntest.«
»Der Druide kam im Sommer jenen Jahres zu uns, als Uther die Herrin Igraine zu seiner Braut erkor«, bestätigte Gaius, »und zwar mit einem wenige Wochen alten Knaben.«
Das Gemurmel der Leute, die sich um sie geschart hatten, verwandelte sich in ein Getöse, als die Kunde sich verbreitete. Nun eilten auch die großen Fürsten herbei, Cador und Leudonus und Eleutherius, mit ihren Verteidigern hinter ihnen.
»Was ist das denn für eine Geschichte?«, fragte Leudonus herausfordernd und richtete den fahlen Blick ehern auf Igraine.
»Dieser Knabe ist Uthers Sohn, und er hat das Schwert gezogen!«
Leudonus wirbelte herum und funkelte Artor an, der immer noch mit dem an die Brust gedrückten Schwert dastand.
»Meinst du? Wir gehen zur Kapelle, und wenn er es beweist, Weib, dann kannst du uns alles erklären!«
Die Kunde verbreitete sich rasch. Als die Prozession die Einsiedlerkapelle erreichte, hatten die meisten Häuptlinge, deren Männer und die halbe Stadt sich ihr angeschlossen. Sogar nach Bischof Dubricius war geschickt worden; mit gerötetem Antlitz traf er keuchend ein, als sie an der Tür anlangten. Mit seinem stets unerschütterlich guten Gespür begann er, Ordnung in den wirren Haufen zu bringen, forderte die Häuptlinge auf, ihre Männer zu beruhigen, und wählte mit einem untrüglichen Sinn für die politischen Erfordernisse der Versammlung die Zeugen aus, denn es war klar,
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