Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
zwingend, Vortigern überhaupt für einen Christen zu halten; dagegen spricht auch sein Titel »Oberkönig«, der an den keltischen »Hochkönig« erinnert.
Die Widerstände, die ihn zu Fall brachten, waren jedenfalls politischer Natur: Irgendwann rebellierten die Sachsen. Nachdem Vortigern sie nicht entscheidend schlagen konnte und sein Sohn Vortimer nach einer Niederlage vergiftet worden war, nahm er die Einladung Hengists zu Verhandlungen an. Die Einzelheiten des Massakers von Caer Caradoc werden berichtet in einem Sammelwerk Historia Brittonum (»Geschichte der Briten«), das einem gewissen Nennius zugeschrieben wurde: wie die Sachsen auf ein vereinbartes Zeichen hin ihre mitgebrachten langen Messer, Saxe genannt, hervorzogen und ihre Gastgeber abschlachteten. Sogar ihr Losungswort: »Nemet oure sea-xes!« wird in dem lateinischen Text in der Originalsprache überliefert – wenn auch im Angelsächsisch des 9. Jahrhunderts, der Zeit, in der das Werk niedergeschrieben wurde.
Vortigern, der das Massaker überlebte, wurde abgesetzt, und ein Mann namens Ambrosius trat an seine Stelle, möglicherweise ein Sohn jenes Ambrosius Aurelianus, der Vortigerns früherer Rivale gewesen war. Er ist eine der wenigen historischen Gestalten, die Gildas namentlich erwähnt. Gildas sagt, dass Ambrosius’ Eltern »zweifellos den Purpur getragen« hätten, doch die Deutung dieser Stelle ist nicht klar, denn parentes kann auch »Vorfahren« bedeuten, und wenngleich der Purpurmantel ein Vorrecht der Kaiser war, trugen auch Männer von Senatorenrang eine Toga mit Purpurstreifen. Unter Ambrosius’ Führung gelang es den Briten, die sächsische Invasion zum Stehen zu bringen, aber nicht, einen entscheidenden Sieg zu erringen.
König der Briten
Im Jahre 468 führte ein geheimnisvoller, aber zweifellos historischer Feldherr namens Riothamus, genannt »König der Briten«, ein größeres Heer von der Bretagne nach Gallien, um auf der Seite des Kaisers gegen die Visigothen zu kämpfen. Anfänglich siegreich, wurde er, möglicherweise durch Verrat, geschlagen, bevor er seine Armee mit der des Kaisers vereinen konnte, und verschwand aus der Geschichte in der Nähe der Stadt Avallon in Burgund. Riothamus war kein Name, sondern ein Titel, »Hochkönig«. War er vielleicht, wie Geoffrey Ashe in The Discovery of King Arthur (1985) nahe legt, der historische Artus? Es gibt jedoch noch einige andere Kandidaten für Riothamus, angefangen von Ambrosius selbst bis zu Riwal Mawr (»dem Großen«), König von Armorica in der Bretagne, der nachweislich gegen die Visigothen einen Sieg davontrug. Aber vielleicht hatte er einen Verbündeten als Heerführer aus Britannien.
Es gab zu jener Zeit eine starke Rückwanderungswelle von Dumnonia (Cornwall) nach Domnonia (Bretagne). Die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Briten und Sachsen hatten in Britannien zu Hungersnöten und Seuchen geführt. Viele Briten hatten Verwandte auf dem Festland; letztlich kamen die keltischen Bewohner der britischen Inseln von dort, und die Völker auf beiden Seiten des Ärmelkanals waren eng verwandt und konnten sich problemlos miteinander verständigen. Die Rückwanderer scheinen in organisierten Gruppen gekommen zu sein, unter der Leitung von weltlichen oder geistlichen Führern.
Einer der Kandidaten für den historischen Artus, der von zwei britischen Autoren, Dave Barber und David Pykitt, in Jour ney to Avalon: The Final Discovery of King Arthur (1993) ins Spiel gebracht wurde, ist ein solcher Anführer. Dieser wird noch heute in der Bretagne als Heiliger verehrt, und in der Kirche des kleinen bretonischen Dorfes St.-Armel-des-Boschaux kann man seinen Kieferknochen unter Glas in einem Reliquiar sehen.
Dieser St. Armael oder Arthmael, der ikonografisch mit Brustpanzer als Krieger dargestellt ist, wird gleichgesetzt mit Athruis ap Meurig, einem Stammeskönig der Silures in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Dies würde das zentrale Gebiet der historischen Ereignisse in Südwales und im Mündungsgebiet des Severn bis nach Somerset ansiedeln. Von hier aus sei der König nach seiner letzten Schlacht verwundet, aber lebend übers Meer in die Bretagne gereist, um dort als Mönch seinen Lebensabend zu verbringen.
Wenngleich dies St. Armael für die Rolle des Riothamus zu spät ansetzt, ist die Biografie als solche nicht ungewöhnlich. Es gibt viele Heilige aus der damaligen Zeit, die ursprünglich Kleinkönige waren. Zumindest ist sie
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