Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
Niederlage gegen die Sachsen zurückgezogen haben; was politisch keinen Sinn macht, aber den Ortsnamen erklären hilft. Dort will er eine Festung bauen, aber nachdem die Bauten immer wieder einstürzen, sagen ihm seine Wahrsager, dass nur das Blut eines vaterlosen Jungen ein Fundament dafür sei.
Um das Kind ohne Vater zu finden, sendet Vortigern in alle Landesteile Boten aus. Sie kommen schließlich an einen Ort in Südwales und sehen dort zwei Jungen Ball spielen und sich streiten. »Oh, du vaterloser Mistkerl«, stößt der eine hervor, »du wirst nichts als Unheil stiften!« Die Mutter bestätigt, der Angesprochene sei ihr Sohn, doch sie eine Jungfrau, das stehe außer Zweifel. Der Junge wird zu König Vortigern gebracht, und man trifft Vorbereitungen für eine Zeremonie, in deren Verlauf der Knabe geopfert werden soll.
Nachdem der Jüngling die bekannte Vision vom Kampf des roten und des weißen Drachen gedeutet hat, heißt es weiter im lateinischen Text: »Der König aber fragte den Jüngling: ›Wie ist dein Name?‹ Jener antwortete: ›Ambrosius werde ich genannt‹, was auf Brythonisch Emrys Gwledig ist. Und wiederum der König: ›Aus welchem Geschlechte bist du?‹ Worauf er antwortete: ›Von den Konsuln der Römer einer ist mein Vater.‹«
In dieser Geschichte muss eine ganze Reihe von Überlieferungen verschmolzen sein, wie sich an den Widersprüchen zeigt; etwa, als der »vaterlose« Junge seinen Vater offenbart. Aber die zentralen Motive sind klar: die einstürzende Burg, die Entdeckung des vaterlosen Knaben und die prophetische Deutung der kämpfenden Drachen.
Diese Geschichte findet ein Pendant in »Lludd und Llefelys«, eine der späteren Geschichten im Umkreis des Mabinogion. Nur ist dort der Schauplatz zweier kämpfender Schlangen der Mittelpunkt von Britannien.
Geoffrey von Monmouth erzählt die Geschichte von Vortigerns einstürzender Burg fast genauso wie die Historia Brittonum, allerdings mit einem Unterschied: Bei ihm heißt der vaterlose Jüngling nicht Ambrosius, sondern Merlin.
Bei Geoffrey gibt es noch eine zweite, ähnliche Episode, die mit jenem Ambrosius zu tun hat, der von Gildas als politischer Anführer genannt wird:
Nach dem Tod Vortigerns werden die Briten unter seinem Nachfolger Ambrosius wieder vom Glück begünstigt, und dieser beschließt, den britischen Edlen, die Hengist niedermetzeln ließ, ein Grabmal zu errichten. Er ruft Zimmerleute und Steinmetze zusammen, denen es jedoch nicht gelingt, das Vorhaben auszuführen. Ambrosius erhält den Rat, nach dem Propheten Merlin zu schicken.
Merlin rät ihm, die Steine vom Berg Killarnaus in Irland herbeizuholen, die man den »Tanz der Riesen« nennt. Ambrosius zeigt sich anfangs skeptisch, lässt sich aber überzeugen und schickt eine Armee auf den Weg. Merlin, der die Soldaten begleitet, gebraucht seine Zauberkräfte, um die Steine nach Britannien zu schaffen und dort wiederaufzurichten.
Dies ist Geoffreys berühmte Episode über die Errichtung von Stonehenge, eine Geschichte, die viele Diskussionen ausgelöst hat, seit man in diesem Jahrhundert entdeckte, dass die Riesensteine tatsächlich über eine weite Entfernung aus den Bergen von Pembrokeshire zu ihrem jetzigen Standort herangeschafft worden sein müssen.
Im Vergleich mit dem Motiv der einstürzenden Burg aus der Historia Brittonum ergibt sich noch eine sprachliche Parallelität: Dinas Emrys heißt »die Feste des Emrys«. Die Gebeine der gefallenen Briten lagen »auf einem Friedhof neben dem Kloster des Ambrius, eines Abtes, der es gegründet hatte«, begraben. Es ist aufschlussreich, dass Geoffrey den Mons Ambrius (›Hügel des Ambrius‹), auf dem Merlin den Steinkreis neu errichtet, nicht, wie naheliegend gewesen wäre, mit Ambrosius in Verbindung bringt. Tatsächlich ist der Name des Ortes weit älter als Geoffreys Historia; er findet sich im 9.Jahrhundert als Ambresbyrig, was so viel wie »Burg des Ambres« bedeutet und sich im heutigen Ortsnamen Amesbury bei Stonehenge wiederfindet. Es könnte also durchaus sein, dass sich in Geoffreys Mons Ambrius ein alter Name von Stonehenge selbst widerspiegelt.
In beiden Fällen wird nun eine Person namens Ambrosius mit einem Bauvorhaben in Verbindung gebracht, das aus mysteriösen Gründen nicht vollendet werden kann. Die Wahrscheinlichkeit einer Motivdoppelung wird auch durch ein Gedicht aus dem 13.Jahrhundert, Of Arthour and of Merlin, erhärtet, in dem die Geschichte von Vortigerns vergeblichem Versuch, seine
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