Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Münzen bereits reichen Lohn.
Zögernd löste er die Silberbrosche, die seinen Umhang zusammenhielt, das einzig Wertvolle, das er bei sich trug. Abermals veränderte sich die Stimmung; diesmal erfüllte sie sich mit einer Art klingender Spannung, die Haedwig die Nackenhaare aufrichtete. Auch Oesc spürte es. Er warf ihr einen beunruhigten Blick zu, ehe er sich wieder dem Brunnen zuwandte.
»Herrin der Quelle, dies ist für dich.« Beim letzten Wort kippte seine Stimme; Oesc schluckte, errötete und warf rasch die Brosche in den Brunnen. »Lass mich des Vertrauens meines Großvaters würdig werden. Ich biete dir meinen Leib und meine Seele, wenn du mir dieses Land als Heimat für meine Kinder und mein Volk überlässt. Und bitte, Herrin, lass mich eines Tages deinen wahren Namen erfahren!«
Die Spannung steigerte sich zu einem hörbaren Summen, das an Grillen an einem Sommertag erinnerte, obschon die Blätter sich bereits verfärbten und die Luft draußen die klare Kühle des Herbstes trug. Das Summen wurde lauter, bis es beinahe schmerzte, dann verebbte es langsam und ließ einen allumfassenden Frieden und die Gewissheit zurück, das alles gut werden würde.
Von Aegeles Furt wand die Straße sich südwärts durch den Forst und wurde zu einem Trampelpfad, als sie sich der Südküste näherte. Dort, nahe den alten römischen Eisenwerken, wo sich ein sanfter Hügelkamm zum Meer hinunter senkte, hatte der Jute Haesta seine Sippe angesiedelt. Drunten an der Küste bot die Seefestung Anderida einen sicheren Hafen; bei gutem Wind und mit einem Steuermann, der die Untiefen entlang der Küste kannte, konnten sie in höchstens einem Tag mit dem Boot nach Lemanis zurückkehren. Haestas Gehöft, dessen üppige Felder sanft zum Meer hin abfielen, befand sich an der Grenze zwischen den Ländern zweier Herrscher. Im Osten galt Aelle schon beinahe so lange als Herr seiner Sachsen, wie Hengest Cantuware hielt, wenngleich er um dreißig Jahre jünger war.
Haesta war selbst zur Küste herabgekommen, um seine Gäste an der Landestelle willkommen zu heißen. Als sie sich seiner Halle näherten, traten weitere Männer ins Freie: ein stämmiger, muskelbepackter Mann mit grauem Haar, der die Königskette trug, von dem sie sagten, dass er Aelle sei, und hinter ihm ein großer, junger Mann mit rotem Haar. Das Kind, das Letzterer auf den Schultern trug, starrte die Neuankömmlinge mit leuchtenden, forschenden Augen an.
»Wie ich sehe, hat er Ceredic mitgebracht«, meinte Byrhtwold. »Und das muss Ceredics kleiner Sohn sein. Das ist ein Mann, den es im Auge zu behalten gilt, Junge. Wenn er nur halb so gut kämpft, wie er redet, wird auch er eines nahen Tages ein König werden.«
Oesc nickte und begriff, dass dies einer der Männer war, mit denen er sich – in Freundschaft oder auch nicht – würde auseinandersetzen müssen, sobald seine Stunde als Herrscher schlug. Hengests Versuch, die Herrschaft über alle Menschen zu erlangen, die aus Germanien gekommen waren, war fehlgeschlagen, und Aelle schien mit seinem Gebiet entlang der Küste zufrieden zu sein. Sächsische Siedlungen gab es in großer Zahl, aber sie lagen weit verstreut, und jede hatte ihren eigenen Häuptling – dort lebten Menschen, die sich nie dem Joch Roms unterworfen hatten und erst recht keinen Grund sahen, sich vor einem der ihren zu verbeugen.
Octha hätte vielleicht vermocht, sie zu einen, dachte Oesc voller Ingrimm, wäre das Glück in der Schlacht ihm weiter hold gewesen. Doch nein, nicht das Glück hatte ihm ein Bein gestellt, sondern die Magie von Uthers Schwert. Ich könnte es vollbringen, dachte er, und wenn ich es tue, wird Artor mein Gegner. Dann stiegen sie ab, und Haesta führte sie in den freundlichen Schutz seiner Halle; dort roch es nach würzigen Speisen und beißendem Holzrauch.
In jener Nacht trieben frische Wolken von der See heran. Drei Tage verbannten Regen und Schneeregen die Sachsen in die Halle. Keiner jedoch nahm Anstoß daran. Haesta hatte gut auf das Fest vorbereiten und wochenlang brauen lassen, und so lange die Bierfässer nicht eintrockneten, würde sich niemand beschweren.
In einer Pause zwischen den Besprechungen saß Oesc neben dem langen Kamin und schnitzte Holzstücke in grobe Pferdegestalten und Zweige zu Reitern. Sobald eine Figur fertig war, reichte er sie dem Kind neben sich. Ceawlin hieß der Knabe mit dem roten Haar seines Vaters, ein Vermächtnis des britischen Großvaters, der Ceredic den Namen gegeben hatte.
»Das
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