Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
ist eine mächtige Armee«, meinte Ceredic und schaute zu seinem Sohn hinab. Ceawlin nickte, ergriff den Reiter, den Oesc soeben vollendet hatte und stellte ihn zu den anderen in die Reihe.
»Die mit der Rinde sind Römer, wegen der Rüstungen, und die geschälten sind Sachsen«, erklärte das Kind. Einige der Figuren fielen um, und Ceawlin stellte sie wieder auf.
»Wie ich sehe, stellst du die unberittenen Krieger in Keilformation auf«, bemerkte Ceredic.
»Das hat er mir gezeigt«, erwiderte Ceawlin und deutete auf Oesc.
»Mein Vater wählte diese Formation bei Verulamium.« Oesc schluckte, und sein Magen verkrampfte sich, als er an jenen Tag zurückdachte.
»Ach ja.« Ceredic löste die Aufmerksamkeit von dem Kind. »Wie ich höre, warst du bei der Schlacht zugegen.«
Oesc lief rot an. »Gegen den Befehl meines Vaters«, sagte er mit einem raschen Blick auf Ceawlin. »Aber ich habe seinen Kopf in Sicherheit gebracht, damit die Briten ihn nicht entehren konnten. Ich habe geschworen, ihn eines Tages zu rächen.«
»Vielleicht ziehen wir gemeinsam in die Schlacht. Vorerst jedoch zähle ich zu Aelles Gefolge, aber mein Vater herrscht in Venta, und er hat sich damals geweigert, Ambrosius anzuerkennen. Gewiss wird er sich nicht vor jenem Kind verneigen, das die Briten ihren Hochkönig nennen!«
»Du bist Brite?« Oesc starrte ihn an. Aber natürlich muss es so sein, dachte er, während er die milchige Keltenhaut und das helle Haar betrachtete.
»Mein Vater ist Brite.« Ceredics Lippen verzogen sich zu einem bittersüßen Lächeln. »Maglos hat meine Mutter zur zweiten Frau genommen, als er sich mit Aelle verbündete. Ich lernte beide Sprachen gleichermaßen, als ich aufwuchs. Mein Vater mag die Sachsen, weil sie tapfere Kämpfer sind, und wenn dieser neue Hochkönig versucht, die Länder um Venta zurückzuerobern, wird Maglos mehr Männer brauchen, um sie zu verteidigen. Deshalb schickte er mich zu Aelle.«
»Und hat Aelle genug Männer?«
»Nicht genug, daher dieses Treffen. Das Volk deines Großvaters hält Cantuware mittlerweile so lange, dass es dort ein paar jüngere Söhne gibt, die neue Besitztümer brauchen. Mein Vater hätte keinerlei Einwände, kämen sie auf die Insel Venta. Aber ich muss weitere Männer aus Germanien holen, um das Gebiet rings um Clausentum entlang der Mündung des Icene zu besiedeln. Von dort aus kann ich mir nordwärts einen Weg ins Herz Britanniens bahnen. Maglos glaubt, er könnte das Land mit Hilfe sächsischer Siedler verteidigen und es immer noch als britisch bezeichnen. Aber wenn ich über Venta herrsche, kann ich nach Norden ins Kernland der Briten vorstoßen!«
Während Oesc ihm lauschte, begriff er, wie es für Hengest und Horsa gewesen sein musste, als sie jung waren. Doch in Cantuwaraburh waren die Narben des Krieges geheilt und die verbrannten Häuser zu Baumaterial verwertet oder der Erde überlassen worden. Die dort verbliebenen Briten waren dankbar für den Schutz ihrer neuen Herren, und die Sachsen verwuchsen immer mehr mit ihrem neuen Land.
»Und was ist mit dir?«, fragte Ceredic, als hätte Oesc laut gedacht. »Wirst auch du gen Westen drängen? Du bist jung und musst dir erst einen Namen machen. Hegst du keine Absichten, Londinium einzunehmen?«
»Londinium und die britischen Länder ringsum trennen uns von den Angeln im Sumpfland, so wie Lindum sie vom Norden trennt. Wir wären stärker, wenn wir die Stadt einnehmen könnten«, entgegnete Oesc nachdenklich. »Aber sie war bedeutsamer, als es noch Handel mit dem Kaiserreich gab. An sich ist sie längst nicht mehr so nützlich.«
»Dann umgeh sie doch. Wenn ich nach Norden dränge und du nach Westen, können unsere Heere sich vereinigen, und wer sollte uns dann noch aufhalten?« Lachend warf er den Kopf zurück. Im flackernden Licht wirkte sein Haar so rot wie das Feuer.
»Welche Heere? Bist du Woden, dass du diesen Stöcken, mit denen dein Sohn spielt, Leben einzuhauchen und sie in Männer zu verwandeln vermagst? Lass uns warten, bis die Saat gepflanzt ist, ehe wir den Baum verkaufen!«, rief Oesc aus. »Wenn du deine Krieger aus Sachsen geholt hast und ich die Männer von Cantuware befehlige, können wir ja wieder darüber reden.«
»So ist es. So wird es sein.« Kopfschüttelnd hockte Ceredic sich nieder und half seinem Sohn, die verstreuten Figuren einzusammeln. »Meine Träume waren der Wirklichkeit schon immer einen Schritt voraus. Dennoch wird es geschehen. Unter den Sachsen gilt ein zweites
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