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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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und eine Erschöpfung, die beinahe seiner eigenen gleichzukommen schien, und noch etwas, das er nicht verstand. Seltsamerweise erinnerte er sich in jenem Lidschlag an das Vertrauen in den Augen des Ochsen, den er zur Opferung geführt hatte. Er hatte gehört, dass die Christen von Eriu es das weiße Martyrium nannten, wenn sie aus ihrem Land verbannt wurden. Er schluckte und wusste, dass er sich selbst verdammte.
    »Ich schwöre es – in Wodens Namen. Ich bin das Opfer.«

V
    Der Kopf des Raben
    A.D. 480
     
    Während Ceredic im Süden seine Wunden leckte und Icel in der Landesmitte an Stärke gewann, herrschte Frieden in Britannien. Sogar die Pikten und Skoten verhielten sich ruhig, und Artors Berater fanden, die Zeit wäre reif dafür, dass der König die Stadt seines Vaters, Londinium, in Besitz nähme. Mit ihm zogen seine Hausgarde und seine Bediensteten, zudem Eldol von Glevum und Cadrod von Verulamium, die seine wichtigsten Berater geworden waren. Und Oesc, sein sächsischer Gefangener, der traurig und teilnahmslos am Ende des Trosses ritt.
    Oescs Herz schmerzte, wenn er an seinen Großvater dachte, der in jener von Schatten erfüllten Halle auf ihn wartete. Haedwig kümmerte sich zwar sorgsam um die Gesundheit des alten Mannes, aber wer würde nun an den langen Abenden mit ihm Brettspiele spielen oder ihm Wild beschaffen, wenn das Pökelfleisch des Winters allmählich eintönig schmeckte?
    Und mehr als er sich je vorgestellt hätte, vermisste er Cantuware. Wenn er des Nachts die Augen schloss, sah er die Sinkflüge der Wasservögel ins Sumpfland oder wie der Wind mit sanften Fingern das gedeihende Korn streichelte. Er sah Sonnenlicht in grünen und goldenen Schauern durch den Wald des Forstes brechen und mit gnadenloser Klarheit auf den hohen Rücken der Hügelländer funkeln.
    Im Nachhinein betrachtet, vermeinte er, es wäre jener Tag im Tempel bei Aegeles Furt gewesen, der diesen Unterschied bewirkt hatte. Manchmal verfluchte er Haedwig dafür, dass sie ihn dorthin gebracht hatte, manchmal aber fand er in der Erinnerung Trost. Er war nun in Cantuware so fest verwurzelt, als wäre er dort geboren, und fern jener Heimat würde er niemals glücklich werden, auch nicht als freier Mann.
    Er wurde nicht schlecht behandelt. Der größte Teil des alten Statthalterpalastes war leidlich instand gesetzt und bewohnbar gemacht worden, und er bot genug Platz für Artors gesamten Haushalt. Merlins Gemächer befanden sich in einem alten Turm, wo er sich jedoch selten aufhielt, da er oft in anderen Teilen Britanniens unterwegs war – um Botschaften zu überbringen, meinten einige, während andere tuschelten, er zöge los, um sich mit Dämonen zu treffen.
    Oesc gewöhnte sich an geschnitzte Säulen, Marmorfassaden und kalte geflieste Böden. Er selbst wohnte in einer weiß getünchten Kammer mit einem Fenster mit Läden, von dem aus er den Fluss überblicken konnte. Nur manchmal, wenn er durch einen verwaisten Gang oder einen Hof schlenderte, in dem ein vertrockneter Springbrunnen den Himmel anklagte, dachte er daran zurück, wie er sich einst gefühlt hatte, wenn er die Rüstung seines Vaters anlegte. Es war, als wären er und all die anderen hier bloß Kinder, die Könige spielten und bald würden die Erwachsenen, die diese Hallen errichtet hatten, ihren Besitz zurückfordern. Wenn er Artor beobachtete, wie er voller Prunk auf dem Podium der Basilika saß, fragte er sich gelegentlich, ob der Hochkönig ebenso empfand.
    Doch die Legionen waren Vergangenheit. Odoacer, ein Kriegsherr der Sachsen, dessen Vater einer von Attilas Generälen gewesen war, herrschte nunmehr in Italia, und im Gegensatz zu den Barbarengenerälen vor ihm, weigerte er sich, einen Römer als namentlichen Kaiser zu küren. Das Kaiserreich des Westens war Geschichte, und nur in Britannien und den Teilen Galliens, wo Johannes Riothamus jene britischen Krieger um sich geschart hatte, deren Familien nach der Nacht der langen Messer von der Insel geflohen waren, lebte die Erinnerung daran fort.
     
    An einem Nachmittag im Oktober stand Oesc mit dem übrigen Gefolge in der Basilika und sah zu, wie Artor eine Gesandtschaft aus Gallien empfing. Man hatte ihn recht weit vorne platziert, neben Cunorix, dem Sohn eines irischen Häuptlings, der in Demetia Unruhen angezettelt hatte. Alle Geiseln werden gemeinsam zur Schau gestellt, dachte Oesc verbittert, wie die Hunde des Hochkönigs, die hechelnd auf dem Mosaikboden lagen, oder der Falke, der auf seinem Gestänge

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