Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Vielleicht sollte er lernen, beritten zu kämpfen, dachte Oesc voller Ingrimm, dann könnte er sie begleiten. Es war schlimm genug, in einer Schlacht zu kämpfen, doch die grauenvolle Arbeit, die darauf folgte, brachte keinen Ruhm.
Wo das Land anzusteigen begann, türmte sich ein Leichenberg, als hätte eine verzweifelte Gruppe Krieger diese Stelle für ihren letzten Kampf auserkoren. Die meisten der Männer waren Pikten, und keiner von ihnen rührte sich mehr. Zwischen den Leichen lag eine geschnitzte, bemalte Holzstandarte in Form eines roten Hengstes. Mit nachdenklichem Blick besann Oesc sich, wie bedrohlich jenes Banner im Licht des Morgens gewirkt hatte.
Er stieg ab und zerrte einige der Leichname bei Seite. Wie erwartet, fand er den Leichnam eines stämmigen Mannes mit grauem Haar. Unter dem Spitzbart schimmerte eine goldene Kette, und über die breite, nackte Brust waren ein Pferd und das Doppelscheibensymbol eines Königs tätowiert.
Oesc entdeckte keine Wunde an ihm; vielleicht hatten ihn die Götter inmitten der Schlacht niedergestreckt. Alten Männern widerfuhr dies mitunter. Jedenfalls bestand wenig Zweifel, dass es sich um Naitan Morbet handelte, den Herrscher der Pikten, der die Gebiete vom Tava bis zum Salmaes-Delta in Schutt und Asche gelegt hatte. Oesc hob das Horn an die Lippen und blies und rief so die britischen Hauptleute herbei.
Führerlos flohen die Pikten gen Norden wie Laub vor dem Wind. Artor entließ die Fußsoldaten und jene Männer, die am weitesten entfernt lebten nach Hause zu ihren Ernten. Die britische Reiterei hingegen jagte dem Feind nach und lieferte versprengten Gruppen eine Reihe harter Scharmützel. Wenige der Pikten entkamen, und es wurden auch nicht allzu viele Gefangene gemacht. Kleinen Gruppen, die das Land genau kannten, gelang es, an Orte zu flüchten, wo die auf größeren Pferden reitenden, schwerer bewaffneten Verfolger sie niemals finden würden. Dennoch kehrte nur ein Bruchteil der gewaltigen Armee, die Naitan Morbet zur Sommersonnenwende südwärts geführt hatte, zurück, um in den caledonischen Hügeln und Tälern das Fest des Lugus zu feiern, und eine Reihe unglücklicher Gefangener folgte Artors Armee, als sie schließlich Dun Eidyn erreichte.
Von dem hohen Felsrücken und der Feste, die ihn krönte, bis zum flachen Weideland in der Schlucht darunter vibrierte die Luft vom Klang der Trommeln. Von Zeit zu Zeit woben die bitter-schrillen Klänge der Dudelsäcke den Rhythmus in ihre Melodie, doch wenn sie verstummten, fuhren die Trommeln fort gleich dem hörbaren Herzschlag des Landes. Die Klänge ertönten bereits seit dem Beginn des Festes. Mittlerweile nahm Bediver sie nur noch gelegentlich wahr, wenn der Wind sich drehte und sie verstärkte oder wenn sie aus unerfindlichen Gründen einige Augenblicke aussetzten. Manchmal, wenn die Trommeln leise schlugen, konnte er ihren rhythmischen Klang kaum mehr von dem Pochen des Mets in seinem Hirn unterscheiden, denn während der letzten drei Tage wurden Speisen und Trank in vollen Zügen genossen.
Diejenigen von Artors Männern, die nicht nach Hause zurückgekehrt waren, um bei der Ernte zu helfen, lagerten auf dem Weideland; es war eine willkommene Gelegenheit, sich von den langen Tagen des Marsches zu erholen. Das Heu war geschnitten und das Vieh von den Hügeln herabgetrieben. Die ersten reifen Kornfelder waren feierlich geerntet worden, und die Sippen der Votadini hatten sich eingefunden – mit dem Vieh, das sie verkaufen, und den Töchtern, die sie verheiraten wollten. Für die Edlen und Fürsten im Gefolge des Königs war es ein Besuch in einer längst vergessen gewähnten Welt, die sich nie dem Joch Roms unterworfen hatte.
»Erscheint es dir denn so fremd?«, fragte Oesc und lehnte sich an die neben ihm ausgebreiteten Felle. »Auch mein Volk bringt zur Erntezeit Opfer dar.« Das Licht des Freudenfeuers rötete sein Haar.
Bediver zuckte die Schultern. »Zu Hause in Gallien spricht der Priester Gebete für den Erfolg der Ernte, und die Arbeiter feiern, nachdem sie eingebracht ist. Vielleicht tut das Volk auf dem Land andere Dinge, aber ich habe in der Stadt gelebt und sie nie gesehen. Ein so großes Treffen hat es jedenfalls dort nie gegeben.« Er biss ein großes Stück Fleisch aus der Rinderrippe, die er in seinen Händen hielt.
»Das ist wahr. Die Sachsen feiern das nächste große Fest erst am Ende des Herbstes, aber es gilt der Familie, wie Jul. Unsere Stämme kommen zum Ostara-Fest und manchmal
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