Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot
bis zu den Hüften zu bemalen, pulsierte in ihrem gesamten Leib ein angenehmer, beinahe sexueller Schmerz.
Der sanfte Schlag einer Trommel trieb Morgause wieder auf die Beine.
»Nun bist du bereit… nun rufen wir sie…«
Der Trommelschlag wurde schneller, und Morgause spürte sich selbst tanzen, wie sie seit der Zeit vor ihrem ersten Kind nicht mehr getanzt hatte. Schweiß glitzerte auf ihrem Körper und grub seine Mäander in die gemalten Symbole; sie roch ihren eigenen, weiblichen Duft, der sich mit dem Geruch der Kräuter vermischte. Mittlerweile war es sehr spät geworden; der verzerrte Schemen des abnehmenden Mondes hing am östlichen Himmel.
Die Priesterinnen sangen. Alsbald hörte Morgause die Namen von Göttinnen im Gemurmel des Sprechgesangs heraus. Sie lauschte aufmerksamer und verstand die Worte, ohne zu wissen, ob sie mit den Ohren oder mit dem Herzen hörte.
Die Göttinnen, die sie anriefen, waren älter und wilder als jede Erscheinungsform der Herrin, von der sie auf der Insel gehört hatte; es waren Namen, die von der Erde, vom Feuer, von den Steinen des Kreises und vom Flüstern der fernen See widerhallten.
»Ruf Sie!«, sang Tulach, als sie vorüberwirbelte. »Ruf Sie mit dem Namen deiner innigsten Begierde!«
Kurz zauderte Morgause. Dann entlockte der Trommelschlag ihrem Bauch ein Stöhnen, einen Ruf, einen gellenden Schrei des Zorns, von dem sie nicht gewusst hatte, dass sie ihn in sich trug.
Sie drehte sich auf der Stelle; Licht und Schatten wirbelten an ihr vorbei. Und dann waren es keine Schatten mehr, sondern Raben, ein Schwarm schwarzer Vögel, deren heisere Schreie gleich einem Echo der ihren ertönten.
»Cathubodva! Cathubodva! Zeig dich!«
Bewegte sie sich immer noch, oder waren es die Vögel, die sie ins Herz des Maelstroms zerrten, wo es plötzlich erschreckend still war?
»Du hast mich gerufen, und ich bin gekommen… was brauchst du?«
»Ich will, was meine Mutter hatte und was mein Bruder hat! Ich habe ebenso ein Recht zu herrschen wie er – ich will Tigernissa sein – ich will Königin sein!«
»Mein ist die Macht der Schwarzen Rabin, nicht der Weißen. Ich bin das dunkle Antlitz des Mondes…«, ertönte die Antwort. »Ich treibe die Selbstzufriedenen in den Wahnsinn und zerstöre, was erschöpft ist. Ich trinke rotes Blut und labe mich an den Toten…«
»Meine Mutter klammert sich an eine Macht, die sie nicht mehr zu nutzen vermag! Mein Bruder kämpft für einen Traum, der mit Rom gestorben ist! Lass mich deine Priesterin sein, Herrin, und deinen Willen erfüllen!«
»Was opferst du dafür?«
»Ich habe einen kleinen Sohn, der gleichzeitig der Sohn des Königs ist! Hilf mir, und ich ziehe ihn als deinen Kämpfer groß!«
Plötzlich kehrten die Geräusche als misstönende Laute zurück und wirbelten sie in ein Gewirr aus Feuer und Schatten, bis sie nichts mehr wusste.
III
Erstes Blut
A.D. 494
Verschwommen sausten grüne Büsche vorbei, während Gwendivar die Fersen in die Flanken des weißen Ponys grub. Dann brachen sie auf der sonnigen Hügelkette hervor, und die Stute, die unvermittelt einen freien Pfad vor sich sah, reckte den Hals und preschte mit frischer Kraft weiter. Gwendivar presste die langen Beine gegen die Satteldecke und jauchzte vor Freude. Sie flog, gleich einem Vogel, der in den blauen Himmel emporschießt.
Dann neigte sich der Weg, und das Pony wurde langsamer. Abermals grub Gwendivar die Fersen in die Seiten des Tieres, doch die Stute schnaubte nur, schüttelte den Kopf und verfiel in einen zögerlichen Trott, der das Mädchen zwang, sie anhalten zu lassen.
»Na schön«, schimpfte sie verärgert. »Du hast dir wohl eine Pause verdient. Aber es hat dir doch auch gefallen, mein Schwan, oder? Ich wünschte, du könntest wirklich fliegen!«
Gwendivar hatte das Pony zu ihrem siebten Geburtstag geschenkt bekommen. Mittlerweile war sie dreizehn; zu alt, meinte ihre Mutter, um die Tage damit zu verbringen, durch die Gegend zu jagen. Der dunkle Schatten des Erwachsenseins kroch auf sie zu. Nur auf Jungschwans Rücken konnte sie noch frei sein.
Der Schrei einer Möwe ließ sie aufschauen; sie schirmte die Augen gegen das Sonnenlicht ab und folgte ihrem Flug über den Bergrücken und weiter über das Tal. Es war ein wundervoller Sommer gewesen, besonders nach dem letzten Jahr, in dem es so viel geregnet hatte. Durch den Dunst erspähte sie das ferne Glitzern der Mündung des Flusses Sabrina. Etwas näher erstreckten sich goldene Nebelschleier
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