Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot
entrinnen, wäre dies ein guter Platz zum Erforschen.
Eine große Frau trat aus einem der Häuser. Sie trug ein unförmiges Hemdkleid aus ungefärbter Wolle und ein Holzkreuz, das an einem Lederband um ihren Hals hing. Ihr Haar lag unter einem Leinenschleier verborgen. Doch als sie aufschaute, sah Gwendivar ein strahlendes Lächeln und vergnügt leuchtende Augen. Eine Weile ruhte der Blick unverhohlen musternd auf ihr. Dann wandte die Frau sich an Gwendivars Mutter.
»Nun, Petronilla, das ist also dein Mädchen – prächtig ist sie gewachsen, wie eine Blume in fruchtbarer Erde.«
»Mit etwas so fest Verwurzeltem kann man sie wohl kaum vergleichen«, entgegnete ihre Mutter bedauernd. »Sie ist eher wie ein Vogel oder wie ein ungezähmtes Pony, das ständig in den Hügeln herumstreunt. Gwendivar, das ist Mutter Maduret. Zeig ihr, dass du weißt, wie man sich anständig begrüßt!«
Mit hochrotem Gesicht glitt Gwendivar von ihrem Pony, ergriff die Hand der Frau und bückte sich, um sie zu küssen.
»Du bist uns mehr als willkommen, mein Kind. Meine Töchter werden dich in deine Unterkunft geleiten. Gewiss willst du dich vor dem Essen waschen.«
Gwendivars Bauch knurrte vor Vorfreude. Zu all den Veränderungen zählte auch, dass sie wuchs, und dieser Tage war sie fortwährend hungrig.
»Ihr seid nicht unsere einzigen Gäste«, erklärte Mutter Maduret, während sie die beiden zum größten Gebäude führte. »Die Königin ist hier.«
»Igraine?«, fragte Petronilla.
»Höchstselbst, mit zwei ihrer Zofen.«
Petronilla zog eine Augenbraue hoch. »Und Ihr erlaubt ihnen, auf der Insel zu bleiben?«
Die Nonne lächelte. »Wir weilen schon lange genug an diesem Ort, um zu wissen, dass die Wege des Schöpfers der Welt mannigfaltig und geheimnisvoll sind. Wie soll es meinen eigenen Glauben beeinträchtigen, wenn die Königin irregeleitet ist? Zudem hat sie sich stets nur zurückhaltend und achtungsvoll gebärdet, wenn sie hier war…«
Gwendivar lauschte mit großen Augen. Sie hatte zahlreiche Geschichten über Artors Mutter gehört, die schönste Frau ihrer Zeit. Es hieß, König Uther hätte einen Krieg gefochten, um sie zu erobern, und ihren Gemahl vor ihren Augen niedergemetzelt; andere tuschelten, Merlin hätte ihn mit seiner Magie getötet. Mittlerweile, so erzählte man sich, lebte sie im Norden auf einer magischen Insel. Selbstverständlich musste Igraine inzwischen ziemlich alt sein, trotzdem würde es aufregend sein, sie kennen zu lernen.
Aber als sie das Gästehaus betraten, unterhielten sich zwar die beiden Zofen der Königin leise am Feuer, Igraine jedoch war nirgends zu sehen.
Kurz vor Sonnenaufgang weckte Petronilla sie. Rasch stand Gwendivar auf und zog das weiße Hemdkleid an, das man ihr gegeben hatte – sie hatte seit gestern Nacht gefastet, und je schneller dies vorüber wäre, desto eher konnte sie etwas zu essen bekommen. Schlaftrunken taumelte sie hinter ihrer Mutter und zwei Nonnen her, einer jungen und einer alten Frau, die ihnen mit Laternen den Weg vom Gästehaus hinauf zum Hügel leuchteten.
Ihre Aufmerksamkeit wuchs, als sie sah, dass sie sich der Haselhecke näherten. Inmitten der Zweige prangte ein Tor. Die junge Frau hob den Eisenriegel und bedeutete ihnen hineinzugehen.
Auf der anderen Seite befand sich ein Garten. Obwohl der Himmel sich noch düster und grau darbot, sangen bereits ein paar Vögel. Sie hörte das Plätschern prasselnden Wassers, und als es heller wurde, sah sie, dass es durch einen Steinkanal in einen großen Teich floss.
»Die Quelle ist weiter oben auf dem Hügel«, erklärte die junge Nonne mit leiser Stimme. Ihr Name, fiel Gwendivar ein, lautete Julia. »Im Winter wie im Sommer sprudelt das reine Wasser aus der heiligen Quelle. Sogar in Jahren der Trockenheit ist sie nie versiegt.«
Petronilla schaute zum Himmel empor, dann wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Es ist fast so weit. Zieh das Kleid aus und steig in den Teich.«
»Ich wurde doch getauft, als ich noch ein Säugling war«, murmelte Gwendivar, gehorchte jedoch der Anweisung. »War das nicht Reinigung genug?«
»Dies hier reinigt dich von den Sünden deiner Kindheit. Du wirst als Frau hervorgehen, gewandelt durch das Blut deines Leibes und das Wasser des Geistes.« Ihre Mutter nahm das Kleid entgegen und legte es gefaltet über ihren Arm.
Des Geistes oder der Geister?, fragte sich Gwendivar und besann sich der Quelle am Hügel. Der Gedanke verlieh ihr den Mut, den Fuß auf die Stufen zu
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