Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
blasen. Der Laut hallte über die bleiglänzenden Wassermassen; wenig später vernahm er von der Feste eine Antwort, die sich durch die Entfernung leise und süß anhörte wie der Widerhall von Elfenhörnern.
In der Nacht, die auf ihre Ankunft folgte, rollte ein Sturm von der See herein. Dichte Wolken brauten sich über der Feste zusammen, überlagerten die wechselnden Gezeiten. Fünf Tage lang kauerten sie unter den Schieferdächern der Feste, der einzig festen Einrichtung in einer sich auflösenden Welt. Doch die Bierfässer von Dun Breatann waren groß und zahlreich, und während es draußen feucht vom Himmel prasselte, strömte drinnen ebenso ungezügelt das kühle Nass.
»Ich vermute, Eure Reise war nicht gänzlich friedvoll«, sagte Ridarchus und deutete auf die Verbände, die nach wie vor einige von Artors Männern verunzierten.
Im Gegensatz zu seinem Schwager Merlin, der immer noch gleich einem Baum aufragte, war Ridarchus im Lauf der Jahre geschrumpft. Fleisch und Gebein hatten sich zu einer gekrümmten, sehnigen Figur gewandelt. Nur seine Nase stach immer noch wild aus dem Antlitz hervor. Wie er dort hockte, mit dem schwarzen Mantel und den funkelnden, dunklen Augen, erinnerte er Artor an einen Raben. Und wie jener Vogel war auch Ridarchus mit den Jahren weise geworden.
»Das stimmt und macht Eure Gastfreundschaft nur umso willkommener. Aber Ihr werdet feststellen, dass die Straßen in den Süden eine Weile sicherer sein werden.«
»Ihr hättet sie bereits sicher vorfinden müssen, nachdem ihr mein Land betreten hattet«, krächzte Ridarchus. »Ich muss Euch dafür danken, dass Ihr mich von dem jungen Cuil und seiner Bande erlöst habt. Aber lasst mich Euch warnen, sein Tod hat Euch hier wenig Freunde beschert. Beim gemeinen Volk, mit dem er seine Beute zu teilen pflegte, war er durchaus beliebt.«
»Begreifen die Menschen nicht, dass es ohne sichere Straßen keinen Handel und keinen langfristigen Wohlstand geben kann?«
»Vielleicht in der Generation ihrer Kinder«, erwiderte der Fürst. »Aber Cuil verschaffte ihnen Gaben, die sie sofort in Händen halten konnten.«
»Das mag wohl sein, und es tut mir leid, dass er im Kampf getötet wurde«, meinte Artor, »denn er war der Bruder des Mannes, der die Leibgarde der Königin gefangen genommen hatte, als wir auf Feldzug in Demetia waren, und ich hätte sein Leben verschont, nachdem ich ihm die Zähne gezogen hätte.« Artor blinzelte, als der sich drehende Wind durch die Vorhänge pfiff, die den Luftzug draußen halten sollten, und Rauch seitwärts aus dem Hauptfeuer wallen ließ.
»Vielleicht werden uns nun mehr Neuigkeiten erreichen«, sagte Ridarchus. »Wir hören wenig von dem, was sich in der Welt außerhalb dieser Insel ereignet.«
Artor schüttelte den Kopf. »Das Kaiserreich des Westens wird von allen Seiten bedrängt. In Italia herrscht Theodoric, der erst kürzlich seine Tochter Amalfrida mit Thraserich vermählt hat, dem Anführer der Vandalen im Norden Afrikas. In Gallia weitet Chlodowig seine Grenzen in alle Richtungen aus. Vor drei Jahren hat er Burdigala eingenommen. Es heißt, die Römer in den Ländern der Goten kämpften für Alarich, ihren gotischen Anführer, aber die Franken waren immer noch zu stark für sie. Alarich schloss Frieden und zollte Chlodowig letztes Jahr Tribut.«
»Also wird das Reich der Wisigoten zu einem Vasallenstaat?«
Artor zuckte mit den Schultern. »In Iberien haben sie bereits den Fuß in der Tür – sie sind schon so viele Male gewandert, vielleicht überqueren sie die Pyrenäen und überlassen den Süden Galliens gänzlich den Franken.«
Die um das Feuer hockenden Männer hoben zu singen an, zuerst die Krieger der Feste, dann, nachdem sie den Kehrreim aufgeschnappt hatten, auch Artors Männer. Medrod konnte der König nicht unter ihnen ausmachen und er fragte sich, wohin der Junge verschwunden sein mochte.
»Mir scheint, dies ist von Belang für Euch«, sprach Ridarchus nach einer Weile. »Aber wir haben hier in Britannien unsere eigenen Sorgen. Wieso kümmert Euch, was jenseits des Meeres geschieht?«
»Cassivellaunus hat womöglich dasselbe gesagt, bevor Caesar kam«, entgegnete Artor trocken. »Die Franken haben sich als kriegerisches Volk entpuppt. Wenn sie nicht jetzt in die Schranken gewiesen werden, könnten sie vor den Toren Eurer Enkel heulen. Außerdem leben in Gallien Menschen unseres Blutes, über die sie gewiss herfallen werden.«
»Ich habe Gerüchte gehört, denen zufolge Ihr
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