Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
wieder ein; hastig zog er den Mantel über den Kopf und stemmte sich gegen den Regen.
Nach der Mauer gelangte man über eine steile, in den Fels gehauene Treppenflucht zur nächsten Ebene. Medrod kämpfte gegen den Wind an und hatte den oberen Rand beinahe erreicht, als er spürte, wie sich etwas Düsteres vor ihm erhob. Unwillkürlich wich er zurück und rutschte auf dem nassen Stein aus. Wild suchte er mit den Armen nach Halt, doch es gab keinen. Er stürzte hinab, prallte auf einen Felsvorsprung, dann auf den nächsten, ehe er zum Fuß der Mauern hinunterrutschte.
Als er wieder zu sich kam, war es stockfinster. Sein ganzer Körper schmerzte, und ihm war kalt. Mit pochendem Schädel versuchte er sich zu besinnen, was geschehen war. Wenn ihn jemand gestoßen hatte, wieso hatte man dann seine Bewusstlosigkeit nicht genutzt, um ihn ins Meer zu werfen? Und wenn nicht, warum lag er dann noch hier? Doch falls niemand seinen Sturz gesehen hatte, weshalb fragte sich niemand, wohin er verschwunden war?
Wenigstens spürte er noch all seine Glieder. Behutsam versuchte er, sich zu bewegen. Alles tat ihm weh, aber nur im rechten Bein verspürte er wirklich heftigen Schmerz. Zu allem Überfluss würde es nur noch kälter werden. Irgendwie musste er sich aufrappeln.
Medrod hatte es gerade bis zu den Stufen geschafft, als er von oben Stimmen hörte. Fackeln flackerten heftig, als der Wind sie erfasste. Jemand rief seinen Namen.
»Seht nur, da unten am Fuß der Treppe!«, schrie jemand.
»Hier…« Er schob den dunklen Mantel zurück, damit man den helleren Kittel erkennen konnte. »Ich bin hier…«
Jemand eilte auf ihn zu, der die Fackel zu hoch hielt, als dass man die Züge der Gestalt hätte erkennen können. Dann kniete der Mann sich nieder, und Medrod schaute in die besorgten Augen Artors, des Königs, empor.
Der Sturm war vorüber, dennoch blieb der Hochkönig von Britannien in Dun Breatann. Der Junge, Medrod, hatte sich das Bein gebrochen und war noch nicht in der Lage zu reiten. Dass Artor wegen eines Neffen blieb, empfand man als erstaunlich, doch alsbald begannen die Menschen über noch Erstaunlicheres zu munkeln, nämlich dass der Neffe gleichzeitig sein Sohn sei. Artor wusste, dass darüber gesprochen wurde, obwohl ihm verborgen blieb, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hatte. Es war unvermeidlich, dachte er, dass die Wahrheit letztlich ans Licht gelangte. Doch das beunruhigte ihn weniger als das Geflüster, das er gehört hatte, als er seinen Sohn aufhob.
»Er lebt noch? Wie schade – für den König und uns alle wäre es besser gewesen, der Bastard hätte sich das Genick gebrochen! «
Artor hatte die Stimme nicht erkannt, und danach zu fragen hätte die Lage nur noch verschlimmert, doch in den dunklen Stunden der Nacht lag er wach und besann sich des kurzen, sogleich verdrängten Augenblicks, in dem er gehofft hatte, es wäre wahr.
Eine Woche später, als Hörner die Ankunft einer neuen Gruppe verkündeten und die Anführer der Sachsen eintrafen, war er immer noch zugegen. Nachdem Artor mit ihnen gesprochen hatte, begab er sich zur Terrasse, wo Medrod mit geschientem, verbundenem Bein dasaß und aufs Meer hinausblickte.
»Wer ist denn gekommen?«, wollte der Junge wissen und schaute zu ihm auf.
Artor starrte unbeirrt auf das helle Glitzern der Sonne auf dem Wasser. »Der Bruder Cynrics, der mittlerweile über die südlichen Sachsen herrscht«, antwortete er, ohne sich umzudrehen. »Bevor wir Londinium verlassen haben, ließ ich ihm eine Botschaft übermitteln, in der ich seinen Sohn als Geisel forderte, um Frieden zu gewährleisten, solange ich in Gallien weile.«
»Und, hat er sich verweigert?«
Artor schüttelte den Kopf und wandte sich seinem Sohn zu. »Sie haben mir den Knaben gebracht. Sein Name ist Ceawlin.«
»Warum wirkt Ihr dann so besorgt? Und wieso erzählt Ihr es mir?« Medrod schwang das geschiente Bein von der Bank und setzte sich auf. Sonnenlicht strahlte wie der Lichtschein von Feuer auf seinem Haar.
Artor starrte ihn an und versuchte, hinter die dunklen Züge und die fein geschwungenen Knochen zu blicken, die ihn so schmerzlich an Morgause erinnerten. Wer bist du wirklich, Junge? Was geht hinter diesen Augen vor?
»Er verlangt, dass ich im Gegenzug einen Mann aus meiner Verwandtschaft schicke – ›um das Verständnis zwischen unseren Völkern zu fördern…‹«
»Und Goriat will nicht gehen, weshalb Ihr erwägt, mich zu schicken?«, fragte Medrod spöttisch, und Artor
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