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Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel

Titel: Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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kräftig.
    »Es ist zu friedlich«, meinte er widersprechend, und Gwendivar lachte. »Mein Herr hat mir aufgetragen, über Euch zu wachen, aber all unsere Feinde fürchten immer noch seinen Namen.« Er seufzte, dann drehte er sich mit flehentlichen Augen zu ihr um. »Lasst mich zu ihm reisen, Herrin. Diese fränkischen Fürsten würden nicht zu lachen wagen, wäre ich bei ihm. Artor braucht mich. Hier bin ich niemandem nütze!«
     
    »Der Schnitter schwingt die Sichel, das reife Korn zu mahn,
    Der König sinkt zu Boden, zur Erde muss er gehn.«
     
    Gwendivar schauderte, erfasst von einer längst vergessenen Angst. Seit so langer Zeit war Artor ein körperloses Wesen, das durch geschriebene Worte zu ihr sprach – sie hätte beinahe vergessen, dass er aus Fleisch und Blut bestand, das Kälte, Hunger und feindliche Schwerter verletzen konnten.
    »Ninive, bring mir mein Schultertuch«, sagte sie, doch das Mädchen war nicht da. Was sie nicht überraschen sollte; das Kind machte keinen Hehl daraus, dass ihm große Versammlungen Unbehagen machten. Zweifellos streifte Ninive durch die Wälder auf dem Hügel und würde erst bei Einbruch der Dunkelheit zurückkehren. Und in Wirklichkeit war die Kälte, welche die Königin verspürte, eine innere Kälte, die weder Schultertuch noch Mantel zu lindern vermochten.
    »Na schön.« Beide Männer wandten sich ihr zu. »Es ist mir ein Trost, dich hier zu haben, und deine Frau wird es mir gewiss nicht danken, dass ich dich ziehen lasse, aber ich stimme dir zu, dass Artor dich dringender braucht.«
    Die Erntearbeiter rannten mit erhobenen Armen auf die letzte Garbe zu.
     
    »So wollen wir nun feiern, vom Brot und Bier genährt,
    Bis einst im nächsten Frühling der König wiederkehrt…«
     
    Dann löste sich der Kreis unter ausgelassenem Gelächter auf, und sie machten sich über die Fässer voll Erntebier her.
    Mit einem zufriedenen Grinsen stürzte Gwalchmai sein Bier mit einem einzigen Schluck hinunter und streckte den Becher zum Auffüllen aus.
    »Aber sorg dafür, dass du deiner Prahlerei gerecht wirst, mein edler Ritter«, forderte Gwendivar ihn auf. »Schlag den Franken die Rüstungen vom Leib und bring mir meinen König bald heim.«
     
    »Oh, wo ist er verborgen, wo geht er hin heut Nacht?
    Das Korn ist nun geschnitten, die Ernte eingebracht!«
     
    Merlin wanderte im goldenen Licht des Erntemondes durch den Eichenhain oberhalb der Villa. Er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass Caius Turpilius und Flavia seit zwanzig Jahren tot waren und das Gehöft nun Gai gehörte, denn vom Hügel aus betrachtet schien sich nichts verändert zu haben. Sogar von hier aus war der Lärm des Festes deutlich zu hören. Rings um die Dreschscheunen brannten Fackeln, um die sich in einem wilden Tanz aus Licht und Schatten die Feiernden bewegten. Dahinter schimmerten blass die Stoppelfelder, die die Wintermonate über brachliegen würden.
    Merlin hatte vorgehabt, sich an den Feierlichkeiten zu beteiligen, doch die Riten der bestellten Erde zählten nicht zu seinen Mysterien. Lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass seine Anwesenheit einen dunklen Schatten auf die Feier werfen konnte, gleich einem Windstoß aus der Wildnis jenseits ihrer umzäunten Felder. Die Nacht war zu schön, um zu schlafen, zudem brauchte er in jenen Tagen wenig Rast und verspürte kein Bedürfnis nach dem Schutz von Mauern.
    Und so schlenderte er weiter, während ihm die geräuschvolle Finsternis sanft in den Haaren spielte und ihm die üppigen, lebendigen Düfte von Laubmulch und trocknendem Heu in die Nase stiegen. In einer solchen Nacht fiel es leicht, jenes Pflichtgefühl zu vergessen, das ihn nach Süden getrieben hatte, um Artors Königin seinen Rat anzubieten. Er gehörte in die Wildnis, nur mit seinem daimon als Gefährten und dem Gott der Sachsen als Führer.
    In jenen Tagen war der Gott ständig bei ihm. Die helle Lichtgestalt hingegen, die er als seinen daimon bezeichnete, die Gefährtin seiner Kindheit, hatte er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Nun, da er alt war, konnte er sich umso deutlicher an ihre klaren Augen und ihr schimmerndes Haar erinnern. Er hatte gehört, es sei das Schicksal der Alten, wieder wie Kinder zu werden.
    Bei dem Gedanken musste er leise lachen, und aus der Nacht ertönte eine Antwort gleich dem Läuten von Glocken.
    Merlin verharrte und sandte alle Sinne aus. Es schien unglaubhaft, dass sich jemand ohne sein Wissen auf diesem Hügel aufgehalten haben konnte. Was er letztlich

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