Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
leben dort so viele Dumnonier, dass der Ort nach ihnen benannt ist. Sein Sohn Fracanus hat ihn begleitet. Er hat einen neuen Sport erfunden, den auszuprobieren er einige meiner Männer überredete. Statt Wettrennen mit Streitwagen zu veranstalten, stecken sie eine Rennstrecke ab und setzen die leichtesten Knaben in den Sattel. Natürlich ist es gefährlich, wenn ein Bursche abgeworfen wird, aber ohne Wagen laufen die Pferde schneller…«
Gwendivar schüttelte den Kopf. Im Gespräch war Artor nie besonders humorvoll gewesen, aber in seinen Briefen bemühte er sich, sie gleichermaßen zu unterhalten wie auch über Neuigkeiten zu unterrichten. Tatsächlich hatte sie, seit er über das Meer gereist war, mehr über seine Gedanken erfahren als in der Zeit ihres Zusammenlebens.
»Der Sommer hat uns beinahe eingeholt. Ich glaube, ich kann Regalis und Conan von Venetorum dazu bewegen, einem Bündnis zuzustimmen, und außerdem auch Gwenomarcus von Plebs Legionorum. Mit ihnen auf meiner Seite betrachte ich Armorica als gesichert. Die Söhne Chlodowigs, die mittlerweile in Tolosa für Ordnung gesorgt haben, spähen nordwärts, und jene Briten, die sich in Lugdunensis Land angeeignet haben, erbitten unsere Hilfe.«
Das bedeutete, dass Artor bald wieder kämpfen würde, vielleicht sogar schon mitten in einer Schlacht steckte. Gwendivar merkte, dass ihr Griff das Pergament zerknüllte; behutsam ließ sie es sinken. Der König hatte sein ganzes Leben mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbracht und es war ihm kaum Leid zugefügt worden. Außerdem hatte er nun Gwalchmai bei sich. Wieso beunruhigte sie der Gedanke so sehr? Vielleicht deshalb, weil er nicht für Britannien kämpfte?
Aus der Richtung des Stadttores ertönten die Klänge von Kuhhörnern; der Geräuschpegel auf dem Marktplatz schwoll zu einem Getöse an. Cynric war endlich eingetroffen. Gwendivar schloss die Augen und massierte sich die Stirn. Dann rollte und band sie Artors Brief zusammen, erhob sich und rief ihre Zofen herbei, sie in die steifen Zeremonialgewänder der Hochkönigin zu kleiden.
In die schneeweiße Druidenkluft gehüllt und auf Wodens Speer gestützt, wartete Merlin hinter dem Thron der Hochkönigin. In den knapp drei Jahren seit seiner Ankunft hatte er sich wieder daran gewöhnt, zivilisierte Kleidung zu tragen. Auch Ninive hatte sich mit dem Gewicht von Wollkleidern und Metallnadeln abgefunden, obgleich sie lieber frei wie ein wildes Pony über die Heide gelaufen wäre. Ihretwegen war er bereit, dasselbe zu tun.
Die Menschen rätselten, welch tieferer Zweck sich hinter seiner Rückkehr verbarg, doch er hatte keinen Plan, kein Vorhaben. In seinem Herzen wusste er, dass Ninive nicht sein daimon in Gestalt eines Mädchenkörpers war. Dennoch war sie es, die ihn an die Welt der Menschen band. Nun betrachtete er sie, während sie bei den anderen Mädchen stand, die der Königin dienten. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke. Zugleich hörte er den Schrei eines über der Landzunge segelnden Falken und das gedämpfte Rauschen des Meeres.
Nach und nach füllte sich die lange Kammer, in der einst die Friedensrichter von Durnovaria ihre Treffen abgehalten hatten. Constantin saß an der Südseite, neben ihm der Häuptling, dessen Gebiete an jene der Sachsen grenzten. Ein halbes Dutzend Männer seiner Leibgarde tuschelte hinter ihm. Immer wieder griffen ihre Hände vergeblich an die Hüften, ehe sie sich wieder besannen, dass sie ihre Schwerter hatten draußen lassen müssen.
Eine Seitenpforte öffnete sich, und Merlin sah Gwendivar einer Ikone gleich in der Finsternis des Ganges aufscheinen. Sie war in goldene Kleider gehüllt, das schmale Antlitz von den Perlen eines byzantinischen Diadems umrahmt. Doch die Pracht, in der sie einherschritt, war nur ein sichtbares Zeichen für die Investitur der Macht, und die Menschen erhoben sich, um sie mit einer Ehrfurcht zu begrüßen, die mehr als nur förmlich war. Die Königin erklomm das Podium und nahm ihren Platz ein. Die beiden Jünglinge, die sie begleiteten, der eine rot wie ein Fuchs, der andere mit hellem Haar, nahmen an den Seiten des geschnitzten Stuhles Aufstellung. Eormenric sah sich lächelnd um, der rothaarige Ceawlin hingegen starrte mit versteinertem Gesichtsausdruck zur Tür.
Die Doppeltür am Ende der Halle schwang auf. Hoch gewachsene Männer traten ein. Das einstmals flammend rote Haar des Anführers war nun mit dem Frost des Winters bestäubt, dennoch schimmerte es hell genug,
Weitere Kostenlose Bücher