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Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel

Titel: Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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fand, war eine weiß schimmernde, auf einer Eiche hockende Gestalt. Sein menschlicher Verstand hatte sich so auf den Rhythmus der Nacht eingestellt, dass er sie für eine Störung des Windes gehalten hatte.
    »Es wird spät«, sprach eine glockenhelle Stimme aus den Zweigen. »Wieso durchstreift der bedeutendste Druide Britanniens diese Hügel?«
    Merlin verwandelte die Sicht in die einer Eule und erblickte fein geschnittene, von hellem Haar umrandete Züge. Für einen Augenblick stockte ihm der Atem. Es war das Antlitz seines daimon, und doch war sie kein Teil seiner Vorstellungskraft – sogar als Kind hatte er stets den Unterschied zwischen Bildern von außen und solchen, die in seinem Inneren lebten, begriffen. Nun spürte er zudem die Wärme eines menschlichen Körpers und hörte den leisen Hauch eines Atems. Die Gestalt regte sich, und er sah das Glitzern der Stickerei auf ihrem Kleid.
    »Wieso hockt eine Hofmaid in einem Baum?«
    »Ihr kennt mich nicht, und doch sind wir verwandt.« Das Mädchen lachte. »Ich bin Gwalchmais Tochter, von einer Frau aus den Hügeln empfangen, und wenn ich schon nicht dort umherstreifen kann, so verleiht mir diese Eiche wenigstens das Gefühl, frei zu sein.«
    »Das stimmt. Ich habe selbst eine Zeit lang auf einem Baum gelebt. Würde dir die Gesellschaft eines greisen Mannes missfallen?« Ein Strahlen schien von der schlanken Gestalt der jungen Frau auszugehen, lieblicher als das Licht des Mondes.
    Gleich einem Vogel legte sie den Kopf schief. »Ich habe noch nie jemanden getroffen, der sich wie ein Teil des Waldes fühlte. Ihr kennt all seine Geheimnisse, nicht wahr? Also bleibt und unterhaltet Euch mit mir…«
    Merlin wankte, als schmelze etwas in ihm, das seit Igraines Tod gefroren war. Er streckte die Hand nach der Eiche aus und löste sich behutsam vom festen Boden.
    »Mit Freuden…«, sagte er leise. »Mit Freuden will ich bei dir bleiben.«
     
    Merlins Rückkehr stellte ein Wunder dar, über das die Menschen monatelang tuschelten. Als sie sahen, wie oft er mit dem Mädchen Ninive umherwanderte, lachten sie, weil sie vermeinten, den Grund zu kennen. Gwendivar hingegen, die Gwalchmai versprochen hatte, über sein Kind zu wachen, verstand, dass zwischen dem greisen Mann und der Maid keinerlei sexuelle Anziehung bestand. Außerdem hatte sie andere, dringendere Sorgen. Nach Gwalchmais Abreise waren keineswegs alle alten Feinde über sie hergefallen, wie manche befürchtet hatten. Die Pikten hielten sich an den mit Artor geschlossenen Pakt, und nur gelegentlich gab es Angriffe aus Eriu. Vielmehr waren es die Fürsten Britanniens, die allmählich aufsässig wurden, wie Pferde, die zu lange auf der Weide gestanden und die Herrschaft von Zügel und Zaumzeug vergessen hatten. Merlin erzählte ihr, dass es nach Uthers Tod ebenso gewesen war. Der Rat des Druiden erwies sich als unschätzbar; unter seiner Anleitung wuchs Gwendivar in ihre Rolle als Königin hinein wie ein Baum in fruchtbare Erde. Doch er war außerstande, den Fürsten die harte Faust zu zeigen. Gwendivar schrieb an Artor, doch ein weiteres Jahr verstrich ohne seine Rückkehr.
    Gwalchmai war seit zwei Jahren fort, als neue Unruhe zwischen den Menschen Dumnonias und den Westsachsen Gwendivar zwang, sich abermals an Artor zu wenden. Sie hatte Constantin und Cynric aufgefordert, sich mit ihr in Durnovaria zu treffen. Der Frühling war bislang wunderschön gewesen, und die beiden hatten keine Ausrede, nicht aufzubrechen. Doch sollte es ihr nicht gelingen, sie durch ihr Verhandlungsgeschick miteinander zu versöhnen, so wussten sowohl sie als auch die beiden, dass sie keine Mittel besaß, ihren Gehorsam zu erzwingen.
    Durch ihr Fenster drang der schwere, lebendige Duft des Flusses, der Durnovaria behütete, vermischt mit dem durchdringenderen Salzgeruch der See. Nur wenige Menschen lebten ständig in der Stadt – sogar der Fürst zog es vor, den Großteil der Zeit in seiner Villa in den Hügeln zu verbringen. Doch zum allwöchentlichen Markt versammelten die Menschen sich immer noch hier, und der Lärm verschiedenster Sprachen bildete ein tiefes Hintergrundrauschen für das hohe Kreischen der Möwen. Gwendivar legte das Pergament beiseite, auf dem sie geschrieben und ergriff den jüngsten Brief, den Artor ihr gesandt hatte.
    »Pompejus Regalis hat mir letzten Monat einen Besuch abgestattet; er errichtet nahe Briocs Kloster im Westen der Küstenebene eine Feste und hat erkannt, dass er Verbündete braucht. Mittlerweile

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