Brixton Hill: Roman (German Edition)
dann.
»Verstehe. Reporter?«
»Auch. Und welche, die ihre Plakate aus dem Fenster hängen wollen. Oder einfach nur zuschauen.«
Em lächelte und nickte ihm zu. Es entstand eine unbehagliche Stille, bis das Telefon erlösend klingelte. Fast gleichzeitig ging hinten im Flur eine Tür auf, und Alex kam mit energischen Schritten nach vorne.
»Mitkommen«, sagte er zu Em, und seine nur unzureichend unterdrückte Wut sorgte dafür, dass dem Jungen fast der Hörer aus der Hand fiel.
Alex knallte die Tür zu seinem Büro zu, als sie beide eingetreten waren. Ohne ihr einen Platz anzubieten, sagte er: »Was willst du hier?«
»Über Eric reden.«
»Haben wir schon oft genug. Was gibt’s noch?«
»Ich will wissen, ob er für deinen Vater gearbeitet hat.«
»Hat er nicht.«
»Bist du sicher? Ich meine …«
»Ich weiß, was du ausgesagt hast. Und das ist vollkommener Wahnsinn. Mein Vater hat nichts mit dieser Sache zu tun. Nichts! Mag sein, dass er sich eine Riesenscheiße mit Braidlux geleistet hat. Aber ich habe keine Ahnung, wer dich umbringen wollte. Robert jedenfalls nicht. Dass du es wagst , eine solche Anschuldigung zu erheben, ist unglaublich. Mehr hab ich dir nicht zu sagen. Du bist in diesen Räumen nicht mehr willkommen.«
Er hielt ihr die Tür auf. Sie ging. Obwohl sie hörte, dass er ihr folgte, drehte sie sich nicht um. Zu dem Jungen am Eingang sagte sie freundlich: »Haben Sie recht herzlichen Dank für alles. Und ich habe ab sofort bei Ihnen Hausverbot.«
Kapitel 42
F rank Everetts Schweigen musste etwas bedeuten, das war Jay klar. Man schwieg, um sich selbst oder andere, die einem wichtig waren, nicht zu belasten. Man schwieg auch, um sich selbst oder andere nicht in Gefahr zu bringen. Wem ein Gerichtsverfahren drohte, der versuchte, seine Situation möglichst zu verbessern, um eine geringere oder am Ende sogar gar keine Strafe zu erhalten. Waren zwei wegen derselben Sache angeklagt, kam es häufig dazu, dass sich die einstigen Komplizen die Schuld gegenseitig zuschoben. Im Fall von Frank Everett und Robert Hanford lastete ohnehin schon die schwerere Anklage auf Hanford. Zu allen anderen Vergehen könnte noch mindestens Anstiftung zum Mord in mehreren Fällen hinzukommen. Es wäre ein Leichtes für Frank Everett, in dieser Situation alles auf seinen Geschäftspartner zu schieben: Robert Hanford hat mich gezwungen … Robert Hanford wollte es so … Robert Hanford hat mich vor vollendete Tatsachen gestellt … Robert Hanford hat mich erpresst und mir gedroht …
Frank Everett könnte auspacken und sich, wenn er geschickt vorging, vielleicht sogar selbst ein Stück weit entlasten. Er könnte eine mildere Strafe wegen des Braidlux-Skandals bekommen. Aber er tat es nicht. Es musste also, und davon war Jay mittlerweile fest überzeugt, etwas geben, das ihn zurückhielt. Entweder, weil es ihn sehr viel schwerer belasten würde als alles, was bisher bekannt geworden war, oder weil er jemanden schützen wollte. Oder beides.
Um hinter das wahre Geheimnis in Frank Everetts Leben zu kommen, hatte Jay mit umfangreichen Recherchen begonnen. Er hätte so oder so recherchiert, selbst wenn er sich zu hundert Prozent sicher gewesen wäre, dass keine Gefahr mehr für Em bestand. Selbst wenn klar gewesen wäre, dass das Gericht Everett zu lebenslanger Haft verurteilen würde. Jay wollte den Dingen auf den Grund gehen, das lag in seiner Natur, und das hatte ihn schon in frühester Jugend zum Hacker gemacht.
Jay hatte Everetts Spur bis ins Jahr 1973 zurückverfolgt. Bis 1976 war es leicht gewesen – da hatte die Beziehung mit Katherine begonnen. Die Hochzeit der beiden zwei Jahre später fehlte ebenfalls in keiner Boulevardzeitung, die etwas auf sich hielt. Jay fand auch Fotos von Ems Mutter: eine schöne Frau, die jedoch zerbrechlich und verloren wirkte. Ems Vater: attraktiv, strahlend, bodenständig. Jay konnte nur vermuten, dass Em ihre Abgründe, ihre Dämonen von ihrer Mutter geerbt hatte und sie hinter der pragmatischen, harten Schale, die von ihrem Vater kam, in Schach hielt.
Aber darum ging es nicht: Frank Everett hieß vor seiner Heirat mit Katherine Frank Binder. Die Bank, bei der er zuvor gearbeitet hatte, hob ihre Jahrbücher ordentlich im Bankarchiv auf, und so fand Jay leicht heraus, dass Frank Binder dort im Januar 1973 als kleiner Assistent angefangen hatte. Über seine Qualifikation und seinen bisherigen Werdegang stand in dem Jahrbuch, er hätte vorher ein paar Semester Betriebswirtschaft an
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