Brixton Hill: Roman (German Edition)
Brixton?«
»Ich hab hier sogar mal gewohnt. Bis es zu teuer wurde. Ich meine: zu teuer? Brixton? Hallo?«
»Das wird mir auch bald so gehen.«
»Quatsch. Braidlux ist doch jetzt am Arsch.« Er warf im Vorübergehen einen kurzen Blick in die Schaufenster von Morleys.
»Und? Dann übernimmt jemand anderes die Deals. Vergiss jede Sozialromantik. Das hier ist Geschäft. Brixton ist goldener Boden. Die hören nicht einfach auf. Die fangen höchstens ein bisschen später als geplant an.«
»Scheiße.«
»Ja.« Jay schob sich die Ärmel seiner Trainingsjacke hoch. Seit drei Tagen war es tagsüber angenehm warm. Für englische Verhältnisse T-Shirt-Wetter.
»Sag mal, diese Frau. Emma.« Tobs klang unsicher.
»Die ist nicht mehr da.«
»Schade.«
»Hättest du sie halt nicht so angeraunzt«, sagte Jay und wich zwei übergewichtigen schwarzen Mädchen aus, die gerade aus dem McDonald’s gerannt kamen.
»Na, also bitte. Das war schon alles komisch mit ihr.«
»Sie hat dich gerettet.«
»Ich hab mich ja auch bedankt.«
»Mhm. Nicht viel, und du hättest es zurückgenommen.«
»Ja, is ja gut. Aber deshalb frag ich ja nach ihr. Damit ich mich richtig bedanken kann.«
»Ruf sie an.«
Tobs erwiderte nichts. Schweigend gingen sie weiter, bis sie Jays Haus erreicht hatten; nur als sie an Samirs Laden vorbeikamen, murmelten sie ihm einen Gruß zu. Jay schloss die Haustür auf und ging nach oben. Er hatte Alans Sachen ausgeräumt und in die Abstellkammer unter der Treppe gestellt. Vielleicht würde sie irgendjemand abholen. Jay kannte Alans Familie nicht. Tobs’ Habseligkeiten, die er aus dem besetzten Haus retten konnte, lagen ordentlich sortiert auf dem abgezogenen Bett und dem Schreibtisch.
»Wow. Danke.« Tobs war fast zu Tränen gerührt. »Danke, Mann.«
»Kein Problem.«
»Okay, wenn ich mich jetzt erst mal hinlege? War doch anstrengend, so der ganze Fußweg und das alles.«
»Klar.«
»Und … gehen wir morgen zur Beerdigung?«
»Ich hab keine Zeit. Ich muss jetzt gleich weiter zum Flughafen und komme frühestens morgen Abend wieder.«
»Echt? Wo bist du denn?«
»Ich muss nach Deutschland.«
»Nach Deutschland? Wo denn da?«
»München.«
Tobs ließ sich auf die Bettkante fallen. »Was willst du in München?«
»Ich muss was recherchieren. Schon vergessen? Ich bin Journalist.«
»In München? Geht das nicht online?«
»Die Daten sind zu alt. Aus den Siebzigern.«
Tobs sah ihn mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung an, aber dann verstand er. »Aaah.«
Jay sah ein wenig verlegen zu Boden. »An der Sache stimmt was nicht. Da hakt was. Ich weiß nur nicht genau wo.«
»Ich komm mit.«
»Quatsch. Du bleibst hier und ruhst dich aus. Und singst ein bisschen ›Ding-Dong! The Witch Is Dead‹, wenn sie morgen mit dem Sarg an dir vorbeiziehen.«
»Ich muss mitkommen, Alter.«
»Warum?«
»Du kannst kein Deutsch.«
»Ich komm schon klar.«
»Vergiss es. Du kannst kein Deutsch.«
»Dann lass ich mir helfen.«
»O ja. Und zwar von mir.«
Tobs war tatsächlich eine große Hilfe. Er organisierte sich den Flug – die Kreditkartennummer seines Vaters wusste er praktischerweise auswendig, weil er nicht nur ein gutes Namens-, sondern dazu ein hervorragendes Zahlengedächtnis hatte – und machte über einen Münchner Hackerspace eine Unterkunft für die beiden klar. Jay war froh, Tobs dabeizuhaben. Es gab ihm mehr Zeit, um in Ruhe über alles nachzudenken, und es würde die Recherchen natürlich beschleunigen, wenn ein Muttersprachler ihm half. Er machte sich lediglich Sorgen, ob Tobs gesundheitlich schon so weit war. Er hatte etwas Nasenbluten, als sie losgingen, sagte aber, es sei nicht schlimm. Tobs schlief außerdem bei jeder Gelegenheit ein: auf dem Weg nach Heathrow, im Flieger, in der S-Bahn, die sie in München vom Flughafen in die Innenstadt brachte. Auch als sie in dem winzigen Hackerspace eintrafen, setzte er sich als Erstes auf den Boden und schlief eine Runde. Nach zwei Stunden schien er aber wieder fit und beteiligte sich an den Gesprächen mit den neuen Bekanntschaften. Es war eine von mehreren Räumlichkeiten, in denen sich Münchner Hacker trafen, um sich um ihre Projekte zu kümmern, auszutauschen, auszuprobieren. Dieser Treffpunkt war relativ neu gegründet worden und hatte noch wenige Mitglieder, aber man hoffte auf Zuwachs. Der ehrgeizige Plan, rund um die Uhr geöffnet zu haben, Schlafplätze anzubieten und eine kleine Küche sowie sanitäre Anlagen bereitzustellen,
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