Brockmann Suzanne
teilweise aus dem Pferdeschwanz gelöst, und sein Gesicht war schweißbedeckt, als wäre er gerannt. Er ignorierte beides und eilte zur Beifahrertür ihres Transporters. Sie beugte sich über den Beifahrersitz und löste die Türverriegelung. Er riss die Tür auf.
„Gott sei Dank!“, stieß er hervor, und es klang so, als meinte er das ernst. „Ich bin schon seit einer Stunde hinter dir her.“
Nicht nur sein Gesicht war schweißnass. Auch sein T-Shirt war so feucht, als wäre er in der Sommerhitze einen Marathon gelaufen.
Wes. Nur ihr Bruder konnte der Grund sein, warum Bobby sie so verzweifelt gesucht hatte. Wes musste verletzt worden sein. Oder – bitte nicht, lieber Gott – tot.
Colleen überlief es heiß und kalt. „Oh nein“, sagte sie. „Was ist passiert? Wie schlimm ist es?“
Bobby starrte sie an. „Du weißt es noch nicht? Ich wollte dich eigentlich anbrüllen, weil ich dachte, du wüsstest Bescheid und kurvst trotzdem weiter durch die Gegend, um Spenden einzusammeln.“
„Sag mir bitte einfach, dass er nicht tot ist“, bat sie. Sie hatte das schon einmal durchgemacht, schon einmal einen Bruder verloren. Das wollte sie kein zweites Mal erleben. „Ich ertrage alles, solange er nicht tot ist.“
Jetzt wirkte Bobby vollends durcheinander. Er stieg ein und zog die Beifahrertür hinter sich zu. „Er?“, fragte er. „Nein, eine Frau ist überfallen worden. Sie liegt auf der Intensivstation im Mass General. Im Koma.“
Eine Frau? Im Mass General Hospital? Jetzt war es Colleen, die verständnislos schaute. „Du hast nicht nach mir gesucht, weil Wes verletzt ist?“
„Wes?“ Bobby schüttelte den Kopf, beugte sich vor und drehte die Klimaanlage auf. „Nein, ihm geht es bestimmt gut. Wahrscheinlich ist das Ganze sowieso nur ein Training. Er hätte keine E-Mail schicken können, wenn es ein Kampfeinsatz wäre.“
„Aha. Und was ist nun wirklich los?“ In Colleens Erleichterung mischte sich Ärger. Der Mann hatte vielleicht Nerven, sie so zu überfallen und zu Tode zu erschrecken!
„Es ist Andrea Barker“, erklärte er. „Die Verwaltungschefin der Aids-Hilfe. Man hat sie vor ihrem Haus in Newton gefunden, aufs Übelste zusammengeschlagen. Ich habe es in der Zeitung gelesen.“
Colleen nickte. „Ja“, sagte sie, „ja, davon habe ich heute Morgen erfahren. Das ist wirklich eine schreckliche Sache. Ich kenne sie nicht besonders gut, wir haben nur mal miteinander telefoniert. Meistens hatte ich mit ihrer Stellvertreterin zu tun.“
„Dann wusstest du also doch, dass sie im Krankenhaus liegt!“ In seinen Augen funkelte so etwas wie Zorn, und seine sonst so entspannt lächelnden Lippen waren nur noch ein schmaler Strich.
Bobby Taylor war wütend auf sie. So etwas hatte Colleen noch nie zuvor erlebt. Sie hätte es nicht einmal für möglich gehalten, dass er wütend werden konnte; er war doch sonst die Ruhe in Person. Aber noch mehr verblüffte sie, dass sie keine Ahnung hatte, womit sie ihn so verärgert haben könnte.
„Der Artikel befasst sich eingehender mit den Schwierigkeiten, die sie – die ihr … du gehörst schließlich dazu, richtig? – damit habt, die Aids-Hilfe in diesem Stadtteil von Boston zu etablieren. Exakt jenem Stadtteil, in dem du gerade erst gestern bedroht wurdest, als ihr dort Autos gewaschen habt?“
Jetzt endlich begriff Colleen. Sie lachte ungläubig. „Du glaubst allen Ernstes, dass der Überfall auf Andrea Barker irgendwas mit ihrer Arbeit zu tun hat?“
Bobby schrie sie nicht an, so wie Wes das tat, wenn er wütend war. Er sprach ruhig, äußerlich gelassen, mit gefährlich sanfter, leiser Stimme. Zusammen mit der Wut, die in seinen Augen funkelte, wirkte das sehr viel effektiver als jeder Wutausbruch von Wes. „Und du glaubst das nicht?“
„Nein. Sei doch nicht so paranoid, Bobby! Nach allem, was ich gehört habe, geht die Polizei davon aus, dass sie einen Einbrecher überrascht hat.“
„Ich habe gelesen, welche Verletzungen sie davongetragen hat“, entgegnete Bobby, immer noch in diesem ruhigen, eindringlichen Ton. Sie fragte sich, ob ihn wohl irgendwas so auf die Palme bringen konnte, dass er die Stimme hob. Was konnte diesen Mann dazu bringen, die Beherrschung zu verlieren und zu explodieren? Wenn das jemals geschah, musste man sich sehr in Acht nehmen. So viel stand fest.
„Das waren keine Verletzungen, wie ein Einbrecher sie verursachen würde“, fuhr er fort. „Einem Einbrecher geht es in erster Linie darum, jemanden, der ihn
Weitere Kostenlose Bücher