Brockmann Suzanne
junge Frau. Sie verwechselte ihre Sehnsucht nach einer sexuellen Beziehung zu einem Mann, in den sie sich verguckt hatte, mit ihrem sehr realen Bedürfnis nach etwas Stärkerem und Dauerhafterem.
Sie wollte Leidenschaft. Klar, die konnte er ihr geben, daran zweifelte er keine Sekunde. Und vielleicht, mit etwas Glück, würde es sie so überwältigen, dass sie sich in ihn verliebte.
Tja – und dann? In was für eine Lage brachte er sie damit? Sie würde einen Mann lieben, der die meiste Zeit mit ihrem Bruder irgendwo im Ausland herumschwirrte. Immer vorausgesetzt, dass ihr Bruder ihm jemals so weit verzeihen würde, um auch nur ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Aber das Entscheidende war: irgendwo im Ausland . Das würde Colleen sehr schnell leid sein.
Und schließlich würde sie es so satthaben, in seinem Leben immer nur die zweite Geige zu spielen, dass sie ihn verlassen würde.
Und er würde sie nicht aufhalten.
Aber sie würde ihn trotzdem lieben. Und obwohl sie diejenige sein würde, die fortging, würde es ihr wehtun.
Und er wollte ihr nun mal nicht wehtun, um nichts in der Welt wollte er das.
Folgen Sie Ihrem Herzen. Das würde er tun. Auch wenn das bedeutete, diese Beziehung zu beenden, noch bevor sie begonnen hatte. Und auch wenn das die schwerste Aufgabe war, die er je zu bewältigen haben würde.
Colleen schob die Hecktür des Transporters schwungvoll zu. „Okay“, sagte sie und verriegelte die Tür mit einem Kombinationsschloss. Das geschah weniger, um Diebe abzuhalten, als vielmehr, um zu verhindern, dass die Tür aufsprang, während sie nach Boston fuhren. „Hat jemand die Wohnungstür abgeschlossen?“
Kenneth sah verdutzt zu Clark hinüber, und Clark schaute ebenso verdutzt zu Kenneth. Colleen schrieb die beiden ab und blickte Bobby an. Der nickte. „Ja, habe ich.“
Das überraschte sie nicht. Auf ihn konnte man sich verlassen. Und er war viel begehrenswerter, als ein Mann um zehn Uhr morgens von Rechts wegen sein durfte.
Ihre Blicke trafen sich nur kurz, dann schaute er beiseite. Aber das reichte, um ihr eine Hitzewelle durch den Körper zu jagen. Scham. Verlegenheit. Demütigung. Was genau hatte sie ihm am Abend zuvor gesagt? Ich will dich. Jetzt, bei helllichtem Tage, konnte sie ihre eigene Kühnheit nicht fassen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Trotzdem war er gekommen. Früh, hellwach und ausgeruht, einen Becher heißen Kaffee in der Hand, war er aufgekreuzt, um mit anzupacken, die Hilfsgüter aus ihrer Wohnung zu schaffen und in den Transporter zu verladen.
Viel hatte er nicht zu ihr gesagt. Genau genommen nur „Hallo“, und dann war er mit Clark und Kenneth an die Arbeit gegangen. Gemeinsam trugen sie die schweren Kartons die Treppen hinunter und zum Transporter hinüber. Trotz seiner Schulterverletzung konnte er zwei auf einmal tragen, ohne auch nur ins Schwitzen zu geraten.
Colleen hatte die letzten neunzig Minuten damit verbracht, dieses kurze „Hallo“ zu analysieren, während sie die Kartons auf der Ladefläche des Transporters stapelte. Er hatte fröhlich geklungen. Oder nicht? Froh, sie zu sehen? Na ja, wenn nicht froh, sie zu sehen, dann doch zumindest neutral. Was so viel bedeutete wie, dass er zumindest nicht unglücklich darüber war, sie zu sehen. Und das war schon mal gut.
Oder nicht?
Alles, was sie ihm am Abend zuvor gesagt hatte, ging ihr wieder und wieder durch den Kopf, sodass ihr Magen sich verkrampfte.
Gleich würden sie allein im Transporter sitzen. Gleich würde er ihr wieder was von Freundschaft erzählen, „Lass uns Freunde bleiben“, Teil II. Nicht, dass sie jemals so stur oder besser: dumm gewesen war, um Teil II schon mal gehört zu haben. Aber sie hatte eine lebhafte Fantasie. Sie wusste, was kommen würde. Er würde mehrfach betonen, wie geschmeichelt er sich fühlte durch das, was sie am Abend zuvor so rückhaltlos und geradeheraus gesagt hatte. Er würde ihren Altersunterschied herausstreichen, die Unterschiede in ihrer Herkunft, einfach alles, was sie trennte.
Einen besonders großen Unterschied zwischen ihnen kannte sie allerdings schon: Im Gegensatz zu ihm war sie ein Dummkopf.
Colleen schob sich hinters Lenkrad und drehte den Zündschlüssel um. Bobby schlüpfte neben sie, hob ihren Rucksack vom Boden auf und stellte ihn zwischen ihnen ab wie eine Trennwand. Das hatten sie, Ethan und Peg – die beiden der sechs Geschwister, die ihr altersmäßig am nächsten waren –, früher auf der Rückbank im Kombi ihres Vaters auch
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