Brockmann Suzanne
dem Bobby sie losließ.
Er atmete schwer und starrte sie mit wilden Augen an. Diesen Ausdruck hatte sie noch nie gesehen. Zumindest nicht bei ihm, dem immer coolen Bobby Taylor.
„Das nennst du helfen?“, fragte er ungläubig.
„Ja“, antwortete sie. Auch ihr fiel das Atmen schwer, und dass er sie so anschaute, machte es nicht leichter. „Ich meine natürlich: nein. Ich meine …“
„Oh Mann, es tut uns leid“, warf Kenneth fröhlich ein. „Wir müssen los! Clark, beweg dich endlich.“
„Clark, bleib sitzen!“, befahl Colleen und öffnete die Fahrertür. „Bobby fährt. Ich steige auf eurer Seite ein.“
Sie stieg aus und hielt sich einen Moment an der Tür fest, weil ihre Beine sich anfühlten wie Wackelpudding.
Sie spürte Bobbys Blick auf sich, während sie um die Motorhaube des Transporters herumging. Sie sah, wie Clark sich über Kenneth zu ihm hinüberbeugte und ihm etwas sagte.
„Ganz sicher, Mann?“, vergewisserte sich Clark, als sie die Beifahrertür öffnete.
„Ja“, gab Bobby mit einer Entschiedenheit zurück, die ihr beinah die Tränen in die Augen trieb. Zweifellos hatte Clark Bobby gefragt, ob sie sich nicht lieber verziehen sollten. Aber Bobby wollte das nicht. Er wollte nicht allein mit Colleen bleiben, wenn es nicht unbedingt sein musste.
Na fein! Jetzt hatte sie es wieder vermasselt.
Bobby legte den Gang ein. Sie beugte sich vor und sagte an Kenneth und Clark vorbei: „Ich wollte es dir nicht schwerer machen. Das sollte so etwas wie … ach, ich weiß nicht, ein … ein Abschiedskuss sein.“
Er schaute sie an, völlige Verständnislosigkeit in den Augen, und sie erklärte: „Ich dachte, wir hätten gerade beschlossen, dass unsere Beziehung nicht über das, wie soll ich sagen, Platonische hinausgehen soll. Und ich schätze, ich wollte einfach nur …“ Sie fluchte still in sich hinein. Nie hätte sie laut ausgesprochen, was sie normalerweise nicht einmal in Gedanken sagte. Irgendwie fiel ihr einfach nicht das Richtige ein. Sag es einfach. Was sollte er schon tun? Sie auslachen, weil sie sich so jämmerlich anstellte? „Ich wollte dich einfach nur noch ein letztes Mal küssen. Ist das denn so schlimm?“
„Tschuldigung“, mischte Clark sich ein, „aber das war ein platonischer Kuss?“
Bobbys Haare hatten sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst. Vermutlich war das passiert, als sie ihm die Arme um den Hals schlang und ihn küsste, als gäbe es kein Morgen. Sie sah zu, wie er versuchte, sie mit der rechten Hand – seinem gesunden Arm – wieder zu ordnen. Vergebens, also strich er sie sich einfach hinter die Ohren.
„Junge, Junge! Wenn das ein platonischer Kuss war“, fing Clark schon wieder an, „dann möchte ich einen Kuss sehen, der …“ Kenneth hielt ihm kurzerhand den Mund zu und erstickte den Rest des Satzes.
„Es tut mir leid“, sagte Colleen.
Bobby schaute kurz von der Straße auf und hinüber zu ihr. Die Mischung aus Gewissensbissen, Zorn und anderen für sie nicht deutbaren Gefühlen, die in seinen dunklen Augen schimmerte, würde sie in ihre Träume verfolgen. Wahrscheinlich für den ganzen Rest ihres Lebens. „Mir auch.“
9. KAPITEL
A uf dem Gehweg vor der Aids-Hilfe hatte sich ein Häuflein Demonstranten versammelt. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift: Nicht vor meiner Tür!
Bobby war Colleens Richtungsanweisungen gefolgt und hatte einen Abstecher hierher gemacht, nachdem sie Clark und Kenneth am Kenmore Square abgesetzt hatten. Colleen hatte irgendetwas bei der Aids-Hilfe zu erledigen, Papiere abzuliefern oder eine Akte, die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Bauamt stand.
Sie überbrückte das Schweigen im Transporter auf Skelly-Art: Sie erzählte Bobby, wie sie überhaupt dazu gekommen war, als Rechtsberaterin für die Aids-Hilfe zu arbeiten, nämlich durch ein Studentenprogramm ihrer Jura-Fakultät.
Ihre Anwaltsprüfung hatte sie zwar noch nicht abgelegt, aber es herrschte chronischer Mangel an Rechtsanwälten, die bereit waren, pro bono zu arbeiten – vor allem, wenn es um chronisch in Geldnöten schwebende gemeinnützige Organisationen ging. Also durften Jurastudenten sich freiwillig melden und einen Großteil dieser Arbeit übernehmen.
Colleen war schon immer schnell dabei gewesen, sich für irgendetwas freiwillig zu melden.
Bobby erinnerte sich noch gut daran, wie sie als Dreizehnjährige gewesen war. In dem Jahr war er ihr zum ersten Mal begegnet. Sie war noch ein Kind gewesen, ein
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