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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Claudel
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Tür stehen, die mit grün angelaufenem Kupfer und viereckigen Nägeln beschlagen war, und öffnete sie. Milchiges Licht blendete mich. Kurz musste ich die Lider schließen, dann schlug ich die Augen wieder auf – und sah.
    Wir befanden uns an der Rückseite des Hauses, die ich noch nie gesehen hatte oder höchstens einmal aus weiter Ferne, bei einer meiner Wanderungen über die Höhen. Ich wusste, dass sich dort die Gebäude befanden, die den ganzen Reichtum des Bürgermeisters bargen, den er von seinem Vater und der wiederum von seinem Vater geerbt hatte. Dieser Reichtum war rosig und laut und suhlte sich den lieben langen Tag im Dreck, quiekte und machte einen Höllenlärm.
    Die Schweine waren Orschwirs Goldgrube. Über viele Generationen hinweg war die Familie mit den Schweinen reich geworden. Auf fünfzig Kilometer im Umkreis war er der bedeutendste Schweinezüchter. Jeden Morgen fuhren Wagen vom Hof, transportierten die verängstigt quiekenden oder schon geschlachteten Tiere in die Dörfer, zu den Märkten und Metzgern der Umgegend. Diesen geregelten Ablauf hatte selbst der Krieg nicht durcheinanderbringen können. Denn auch zu Kriegszeiten müssen die Menschen essen, zumindest einige.
    Nach Kriegsbeginn blickten wir alle ängstlich nach Osten und spitzten die Ohren, ob die trampelnden Stiefel der Fratergekeime schon zu hören waren. Fratergekeime , so nennen wir die Männer, die uns Tod und Verwüstung brachten, die Männer, die mich wie ein Tier behandelten, Männer wie wir, die ich gut kannte, weil ich zwei Jahre lang in ihrer Hauptstadt studiert hatte, Männer, mit denen wir befreundet waren, weil sie zu den Jahrmärkten regelmäßig in unsere Gegend kamen, Männer, deren Sprache mit unserer so eng verwandt ist, dass wir sie mühelos verstehen können. Als dann schließlich, drei Monate nach Kriegsbeginn, unsere Grenzposten weggefegt wurden wie Papierblumen, die ein Kind wegpustet, war Orschwir kein bisschen beunruhigt. Er züchtete, verkaufte und aß seine Schweine wie eh und je. Seine Tür wurde nicht beschmiert, kein obszönes Zeichen war darauf zu sehen. Zwar waren diese Männer, die durch unsere Straßen marschierten, in gewisser Weise verantwortlich für den unglücklichen Tod seiner beiden Söhne, aber er überließ ihnen ohne Bedenken seine fettesten Schweine und nahm ihr Geld, das sie wahrscheinlich irgendwo gestohlen hatten und nun mit vollen Händen ausgaben.
    In dem ersten Stall, den Orschwir mir zeigte, spielten wenige Wochen alte Ferkel auf frischem Stroh. Sie rannten hintereinander her, stupsten sich mit den Rüsseln an und quiekten leise und fröhlich. Orschwir warf ihnen drei Schaufeln Körner hin, und sie stürzten sich auf das Futter.
    Im nächsten Stall liefen die halbwüchsigen Schweine hin und her, sie rempelten sich an und suchten Streit. Sie gingen scheinbar grundlos aufeinander los. Die Tiere waren bereits groß und dick, ihre Ohren hingen schlapp herunter, und sie blickten wild und dumpf drein. Ein beißender Geruch stieg mir in die Nase. Sie wälzten sich im Stroh, in ihrem eigenen Kot. Ihr Grunzen war ohrenbetäubend. Mein Kopf schmerzte, ich wollte schnell wieder nach draußen.
    Im letzten Stall dösten die ausgewachsenen Schweine vor sich hin. Riesig und bleich lagen sie lang ausgestreckt auf der Seite, in dem zähen schwarzen Matsch, und schnauften mit aufgesperrten Schnauzen. Einige linsten uns träge an, andere wühlten im Boden. Sie sahen aus wie Riesen, die zu Tieren verzaubert worden waren, Wesen, die zu einer grauenhaften Verwandlung verdammt waren.
    «Das sind die Lebensalter», murmelte Orschwir. Ich hatte fast vergessen, dass er noch da war, und seine Stimme ließ mich hochschrecken. «Zuerst die Unschuld, dann die stumpfe Bosheit und hier schließlich die Weisheit …», sprach er weiter. Er schwieg einen Augenblick und sprach dann mit zögernder, leiser Stimme weiter: «Siehst du, Brodeck, der Schein trügt, diese Tiere sind wild. Sie sehen aus wie gestrandete Wale, aber sie haben kein Herz und keine Seele und kein Gedächtnis. Für sie zählt nur ihr Bauch, weiter nichts, sie wollen nur das eine: ihre riesigen Bäuche füllen.»
    Er hielt inne und sah mich an, ein rätselhaftes Lächeln war auf seinem grobschlächtigen Gesicht zu sehen. In seinem Schnurrbart hingen Brotkrümel, und seine Lippen glänzten noch immer von dem fettigen Speck.
    «Sie würden ihre eigenen Brüder fressen, ihr eigenes Fleisch und Blut, das würde sie nicht stören. Sie zermalmen,

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