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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Claudel
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Körper hinweg, über ihre Beine, ihre zarten weißen Arme, ihren weichen Bauch und ihr gepudertes Gesicht trampelten. Sie wurde nicht beachtet, niemand half ihr, niemand nahm Rache an ihr: Sie gingen einfach immer weiter, gingen wie über Staub oder Erde oder Asche.
    Tags darauf fand ich ihre Leiche, armselig lag sie da, ein aufgedunsener blauer Körper. Ihre ganze Schönheit war dahin. Man hätte sie für eine dieser Strohpuppen halten können, die man am Johannistag durch die Straßen trägt, bevor man sie am Abend singend und tanzend zu Ehren des Sommers in ein großes Feuer wirft, eine Puppe, wie sie Kinder aus alten Frauenkleidern herstellen, die sie mit Heu ausstopfen. Die Seelenfresserin hatte kein Gesicht mehr, keine Augen, keinen Mund, keine Nase. Ihr Gesicht war nur noch eine einzige Wunde, ihr Haar eine mit Schlamm verdreckte blonde Mähne. Nur an diesen Haaren habe ich sie überhaupt erkannt, denn als ich noch wie ein Hund auf allen vieren kroch, hatte mich dieser gleißende Strahlenkranz, der ihren Kopf umgab, geblendet.
    Noch im Tod waren ihre Hände zu Fäusten geballt. In der einen Hand hielt sie eine goldene, hübsch gearbeitete Kette. Wahrscheinlich hing ein Medaillon an der Kette, ein feines Medaillon mit einem eingravierten Heiligen, wie man es den Täuflingen um den Hals legt. Vielleicht war sie wegen dieses Medaillons zurückgekehrt, vielleicht hatte sie bemerkt, dass es nicht mehr auf der kleinen, zarten Brust ihres Kindes lag? Sie hatte das Lager noch einmal betreten, weil sie glaubte, schnell wieder herauszukommen. Wahrscheinlich wusste sie nicht, dass man nicht mehr umkehren darf, wenn man die Hölle einmal hinter sich gelassen hat. Aber im Grunde ist es gleichgültig, ob man wegen eines Irrtums stirbt oder weil man von einer Menge ehemaliger Gefangener totgetrampelt wird. Man schließt die Augen, und dann ist nichts mehr. Und der Tod ist nicht wählerisch, er unterscheidet nicht zwischen Herren und Sklaven. Er frisst alles, was man ihm vorwirft.

17
    «Bier und Schnaps machen keine Flecken, aber der Wein!»
    Pfarrer Peiper schimpfte in einem fort. In Hemd und Unterhose stand er am Spülstein und schrubbte mit einer harten Bürste und einem Stück Seife an seinem weißen Messgewand herum.
    «Und ausgerechnet auf dem Kreuz! Wenn ich den Fleck nicht rauskriege, werden die Dumpfköpfe und die Betschwestern es am Ende noch für ein Symbol halten! Symbole haben wir schon genug, das ist schließlich unser Geschäft, da brauchen wir keine neuen!»
    Ich saß in einer Ecke seiner Küche auf einem wackeligen Stuhl mit zerrupftem Strohgeflecht und sah ihm schweigend zu. Drückende Hitze und der Mief von schmutzigem Geschirr, erstarrtem Fett und billigem Wein standen im Raum. Überall waren leere Flaschen zu sehen, und mehrere Dutzend Kerzen, die der Pfarrer in Flaschenhälse gesteckt hatte, reckten ihre schwachen Flammen zur Decke.
    Peiper gab das Rubbeln auf, warf sein Gewand angewidert in den Spülstein und drehte sich um. Erstaunt sah er mich an, als ob er vergessen hätte, dass ich da war.
    «Brodeck, Brodeck … Möchtest du ein Glas?»
    Ich schüttelte den Kopf.
    «Du brauchst das noch nicht. Du Glücklicher …»
    Er suchte nach einer Flasche, die noch einen Rest Wein enthielt, und schob dafür viele leere beiseite, die klirrend aneinanderstießen. Endlich hatte er eine Flasche gefunden, in der noch ein Rest Wein war, packte sie am Hals, als gälte es sein Leben, goss sich ein Glas ein, nahm es in beide Hände, hob es sich vors Gesicht, lächelte und sagte mit tiefer, von Ironie durchtränkter Stimme:
    «Seht, das ist mein Blut. Trinket alle davon!»
    Er trank das Glas in einem Zug leer, knallte es auf den Tisch und brach in lautes Gelächter aus.
    Gleich nachdem ich auf Orschwirs Bitte hin im Rathaus gewesen war und meinen Bericht vorgestellt hatte, war ich zu Peiper gegangen.
    An jenem Tag war die Nacht so plötzlich über das Dorf hereingebrochen, wie eine Axt auf den Hackstock niedersaust. Tagsüber waren von Westen her immer mehr dicke Wolken in unser Tal gezogen und begannen, weil ihnen der Weg durch die Berge versperrt war, wie wild zu zirkulieren. Dann hatte ein eisiger Nordwind sie aufgerissen, und dichter Schnee war gefallen, zahllose eigensinnige Flocken, dicht an dicht, wie marschierende Soldaten. Der Schnee blieb überall liegen, auf Dächern, Mauern, Straßenpflaster und Bäumen. An jenem Tag, dem 3. Dezember, machte der Winter ernst, das war der erste große Schnee. Noch viel

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