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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Claudel
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Spuren des Gelages zu beseitigen und alles sauber zu wischen. Im Kamin brannte ein großes Feuer, das die Bodenfliesen trocknen sollte. Gerade hatte er alles aufgeräumt, Saal, Tische und Wände sahen wieder aus wie sonst, als ob am Abend zuvor nichts geschehen wäre. Da kommt Orschwir zur Tür herein. Schloss sieht ihn an, als wäre er ein Gespenst, ein sehr durchweichtes Gespenst. Der Bürgermeister zieht die Pelerine aus, die er sich umgeworfen hatte, hängt sie an einen Haken am Kamin, zieht ein großes, zerknittertes und schmuddeliges Taschentuch aus der Hosentasche, trocknet sich damit das Gesicht, schnäuzt sich, faltet es wieder zusammen, stopft es zurück in die Tasche und dreht sich zu Schloss um, der auf den Besen gestützt wartet.
    «Ich muss mit ihm reden. Hol ihn runter.»
    Das war wohl ein Befehl. Er musste Schloss nicht genauer sagen, wen er meinte. Im Gasthaus befanden sich nur der Wirt und der Andere . Wie jeden Morgen hatte er ihm sein Tablett mit einem runden Wecken, einem rohen Ei und einer Kanne heißes Wasser vor die Tür gestellt. Und wie jeden Tag hatte er etwas später gehört, wie jemand die Treppe hinunterging und die kleine Hintertür öffnete. Diese Tür benutzte sein Gast, wenn er seinen Esel und sein Pferd im Stall von Vater Solzner gleich nebenan besuchen wollte. Dann hatte Schloss etwas später gehört, wie die kleine Tür wieder aufging, die Treppe erneut knarrte, und das war alles gewesen.
    In einem Dorf wie dem unseren ist der Bürgermeister eine wichtige Persönlichkeit. Und kein Gastwirt wird ihm eine Bitte abschlagen. Schloss ging also nach oben und klopfte an die Zimmertür. Direkt vor seiner Nase erschien das Lächeln des Anderen , und er trug ihm sein Anliegen vor. Der Andere lächelte noch etwas freundlicher, gab keine Antwort, schloss die Tür, und der Wirt ging wieder nach unten.
    «Ich glaube, er kommt», sagte er zum Bürgermeister, und der antwortete: «Das ist gut, Schloss, und du hast doch sicher noch genug in deiner Küche zu tun, oder?»
    Der Gastwirt verstand und murmelte zustimmend. Der Bürgermeister zog einen kleinen, fein gearbeiteten, silbrig glänzenden Schlüssel aus der Tasche und schloss den kleinen Saal auf, in dem die Versammlungen der Erweckensbruderschaft stattfanden.
    «Hast du denn keinen Schlüssel für den kleinen Saal?», fragte ich Schloss, als er mir die Geschichte erzählte.
    «Natürlich nicht! Ich bin noch nie da drin gewesen! Verdammt, ich weiß nicht mal, wie es da aussieht. Keine Ahnung, wie viele Schlüssel es gibt und wer sie hat, abgesehen vom Bürgermeister und Knopf und Göbbler wahrscheinlich, aber bei dem weiß man ja nie.»
    Schloss ist zu uns nach Hause gekommen. Wie ein Tier hat er an der Tür gekratzt, aber erst, als es schon stockdunkel war. Wahrscheinlich hat er sich lautlos ums Haus herumgedrückt, er wollte auf keinen Fall gesehen werden. Zum ersten Mal hat er unser Haus betreten. Was will der denn hier, war mein erster Gedanke. Fédorine sah ihn an, als wäre er ein Stück Mist. Sie mag ihn nicht, für sie ist er ein Dieb, der billige Lebensmittel möglichst teuer verkauft. Sie nennt ihn Schloch , das ist in ihrer uralten Sprache ein Wortspiel mit dem Namen des Gastwirts und dem Begriff für «Halsabschneider». Sie ließ uns allein, unter dem Vorwand, sie müsse Poupchette ins Bett bringen. Als Poupchettes Namen fiel, sah Schloss für einen Moment unendlich traurig aus, und sein totes Kind fiel mir wieder ein, aber schnell wich die Traurigkeit aus seinem Blick.
    «Ich wollte mit dir reden, Brodeck. Ich muss mit dir reden, damit du siehst, dass ich nichts gegen dich habe und kein schlechter Mensch bin. Ich habe ja gemerkt, dass du mir beim letzten Mal nicht geglaubt hast. Ich werde dir erzählen, was ich weiß, und du kannst damit machen, was du willst, aber verrate niemandem, von wem du es hast, sonst streite ich alles ab. Ich werde dich als Lügner hinstellen und sogar leugnen, dass ich jemals bei dir war. Verstanden?»
    Ich gab ihm keine Antwort. Ich hatte ihn nicht hergebeten, er selbst hatte zu mir kommen wollen, deshalb erschien es mir falsch, dass er etwas von mir verlangte.
    Nach einer Weile kam also der Andere aus seinem Zimmer herunter. Der Bürgermeister bat ihn in den kleinen Saal der Bruderschaft und schloss die Tür.
    «Ich tat, was Orschwir gesagt hatte, und blieb in der Küche. Aber weißt du, ich räume meine Besen und Eimer immer in einen Wandschrank, und die Rückwand dieses Schranks besteht nur aus ein

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