Broken (German Edition)
zeigen. Es fängt damit an, dass sich kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln zeigen, sodass man meint, er würde gleich lächeln. Ich trat näher zu ihm. Seine großen Hände legten sich um meine Taille, knapp über den Hüftknochen. «Wie wär’s, wenn wir uns heute Abend verdrücken und schön essen gehen? Wenn sich irgendwas tut, kann Williams sich drum kümmern.»
Ich lehnte mich gegen ihn. «Aber erst will ich dich. Dann Abendessen.» Er küsste mich, und ich spürte, wie seine Hände mir am Rücken hochfuhren. Ich spürte sie bis ganz tief unten.
Auf dem Weg zum Präsidium machten wir halt im Majestic Diner, wo Dolo und Tomah Doe ihre Tochter eines Abends abgeholt hatten. Rauser zeigte das Foto von Fatu dem Restaurantleiter und dem Küchenpersonal und jedem, der einen Blick drauf werfen wollte. Bei keinem klingelte es. Rausers Detectives und die Cops in Uniform würden auch Abzüge davon bekommen, für den Fall, dass irgendwer auf der Straße sie wiedererkannte und sich an ihren Freund erinnerte. Aber ein Jahr ist eine lange Zeit in den Straßen von Atlanta.
Während der Fahrt erörterten wir verschiedene Theorien. Rausers Lieblingshypothese war, dass der Mann, den Fatu Mister R. genannt hatte, in Wahrheit ihr Zuhälter gewesen war. Ihre Eltern wussten das, und das war der eigentliche Grund für ihren Streit an dem Abend, als Fatu abgehauen und mit dem Handy am Ohr die Straße hochgegangen war. Wir diskutierten auch die Möglichkeit, dass er ein Freier gewesen war oder irgendeine einflussreiche Position innegehabt hatte – Suchtberater, Geldgeber.
Im Präsidium angekommen, gab Rauser mir die Kiste mit persönlichen Dingen aus Donald Kellys Wohnung, und ich schleppte sie zu dem Schreibtisch, den sie mir zur Verfügung gestellt hatten. Es ist schon erstaunlich, was am Ende von unserem Leben übrig bleibt. Ich musste an die Kiste denken, deren Inhalt wir bei den Does in der Küche durchgesehen hatten.
Ich öffnete eine schwarze Lederbrieftasche und sah Kreditkarten, einen Ausweis, eine Girokarte, eine Versicherungskarte, siebenundvierzig Dollar, einen vergilbten, gefalteten Zettel: Schatz, denk an deinen Lunch . Auf einem verblichenen Automatenfoto war ein Pärchen zu sehen. Ein Blick aufs Inventarverzeichnis verriet mir, dass es ein Foto von Kelly und seiner Frau war. Sie war seit über zehn Jahren tot. Ich fand ein Schulfoto von einem Jungen, der in die Kamera grinste, rechts ein fehlender Schneidezahn, dunkler Haarschopf, acht oder neun Jahre alt. Und ein anderes mit demselben tiefblauen Schulfotohintergrund und demselben Jungen, etwas älter. Urenkel Levi Sobol , so der Eintrag im Verzeichnis.
Williams saß an dem Schreibtisch vor meinem. «Sonst keine Familienfotos in Kellys Wohnung?», fragte ich.
«Nur die in seiner Brieftasche. Ehefrau und Urenkel.»
«Das muss der Junge sein, von dem Kelly dem Fahrer erzählt hat. Wissen Sie, ob das hier ein halbwegs aktuelles Foto ist?»
«Das letzte ist zwei Jahre alt.»
«Dann wäre der Urenkel jetzt etwa im selben Alter wie Troy Delgado, nicht?»
Williams nickte. «Aber verschiedene Schulen, verschiedene Wohnviertel.»
«Wie steht’s mit den Sommer-Baseball-Ligen? Delgado hat bei einer mitgespielt. Ich denke, wir sollten uns den Jungen genauer ansehen. Vielleicht gibt’s ja eine Spielerliste oder so. Über die sozialen Netzwerke lassen sich außerschulische Aktivitäten womöglich am schnellsten rausfinden.»
«Sie glauben also, unser Täter sieht Kellys Urenkel, während er den Delgado-Jungen beobachtet, und das hat ihn irgendwie zu Kelly geführt? Wie das?»
«Keine Ahnung.» Ich seufzte. «Ich suche bloß nach einer Möglichkeit, eure Opfer örtlich und zeitlich zusammenzubringen. Kelly hatte nicht viele Fotos. Nur von seiner verstorbenen Frau und diesem Jungen. Beide bedeuteten ihm offenbar sehr viel. Und er war Baseballfan. Der Roman, den er geschrieben hat, handelt von Baseball. Er hat dem Fahrer erzählt, wie sehr er an dem Jungen hing. Er hat ihn bestimmt spielen sehen wollen.»
Ich musste wissen, wie und wo der Täter seine Opfer getroffen hatte. Alle vier Opfer, ein lebendes, drei ermordete, hatten etwas gefeiert, befanden sich an einem Wendepunkt. Selbst Miki hatte aufgehört, sich zu ritzen. Das sagte etwas über seine Psychologie, aber was verriet es mir darüber, wo er sie gesehen, kennengelernt, ausgesucht hatte? Fatu hatte auf der Straße gearbeitet. Er hätte sie ohne weiteres in Midtown aufgegabelt haben können. Vielleicht waren
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