Broken (German Edition)
brauchen, aber dann regelmäßig die Ruhe nicht ertrug.
Dr. Shetty. Es war Donnerstag. Mist. Mein regelmäßiger Termin war um zwei, mitten am Tag, noch so ein Beispiel für schlechte Planung. Ich dachte an die kommenden Stunden. Ich brauchte Zeit, um mich zu vergewissern, dass Miki gut versorgt war, um im Büro Papierkram und einige dringende Telefonate zu erledigen, um Mom und Dad anzurufen, nach Neil zu sehen und einen Nachmittag im Präsidium zu verbringen, um neue Berichte zu studieren. Sobald Rauser die Fotos von Jesse Owen Richards und das Überwachungsvideo an die Presse gab, würden jede Menge Rückmeldungen aus der Bevölkerung kommen.
Okay, es war also völlig ausgeschlossen, dass ich den Termin bei meiner Psychologin einhalten konnte. Das hieß, ich würde es mit Mariza zu tun bekommen, Dr. Shettys Sekretärin. Sie war Brasilianerin und tat so, als wäre ihr Englisch schlecht, damit sie nicht mit Patienten reden musste. Mariza hatte die eiserne Regel, dass Absagen spätestens vierundzwanzig Stunden im Voraus erfolgen mussten. Wir waren schon öfter aneinandergeraten. Ich ging davon aus, dass Dr. Shetty mal wieder eine Stunde Mittagspause auf meine Kosten machen würde.
Ich kaufte was zum Frühstück und raste zu Rausers Haus. Ich wollte nicht, dass Miki ohne Familie aufwachte. Ich konnte mir ausmalen, wie verletzlich sie sich fühlen musste, von einem Killer gejagt, in einem fremden Bett mit gebrochenem Bein und einem wildfremden Polizisten, der sie bewachte.
In Rausers Einfahrt stand ein Streifenwagen. Ein Officer namens Jacobs öffnete die Tür, Hand an der Waffe, und verlangte, dass ich mich auswies. Ich hatte eine Tüte vom Radial Café dabei, dem ersten echten Biorestaurant in Atlanta, mit den besten Zimtschnecken überhaupt – schön groß und dick, frisch zubereitet und mit einer dicken Frischkäseglasur obendrauf. Wenn die gebacken werden, duftet die ganze Dekalb Avenue danach, und es ist fast unmöglich, an dem Laden vorbeizufahren, ohne auf die Bremse zu treten.
Der Fernseher lief, aber leise. Ich sah das Handy des Officers neben seiner Uniformmütze auf dem Couchtisch liegen. «Ist sie schon wach?», fragte ich.
«Hab noch keinen Mucks gehört», antwortete Jacobs.
Ich schüttelte die Tüte. «Zimtschnecken vom Radial. Möchten Sie auch einen Kaffee?»
«Und ob», sagte er. Er setzte sich hin und griff nach seinem Handy. Ich fragte mich kurz, was ein Streifenpolizist wohl twittert, wenn er zum Personenschutz abgestellt ist. Bestimmt langweilte er sich. Vielleicht aktualisierte er seinen Facebook-Status. Oder er simste an seine Freundin, spielte Angry Birds.
Die Pressekonferenz hatte begonnen. Auf der Mattscheibe lief das Überwachungsvideo, das den Verdächtigen, von dem wir inzwischen wussten, dass es Jesse Owen Richards war, mit einer dunkelgrünen Kapuze über dem gesenktem Kopf zeigte, das Gesicht stets von den Kameras abgewandt. Ich sah, wie Rauser vor den Fernsehkameras sprach und die Bevölkerung um Mithilfe bat. Er beschrieb die Persönlichkeitsmerkmale, die ich in meinem Täterprofil aufgeführt hatte. Das Krankenhausvideo wurde wieder und wieder abgespielt, um Richards’ Körperhaltung zu zeigen, seine Bewegungen und seinen Gang. Ein sechs Jahre altes Führerscheinfoto von Richards wurde eingeblendet, und Rauser wies darauf hin, dass das Gesicht des Verdächtigen inzwischen schmaler sein musste. Nach Schätzung der Polizei hatte er etwa vierzig Kilo abgenommen, seit das Foto aufgenommen worden war.
Es war jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Richards’ Gesicht und das Video würden auf allen Kanälen gezeigt werden.
Ich ging den Flur hinunter zum Gästezimmer, das gleichzeitig Rausers Büro war, und drückte die Tür auf.
Mikis gebrochenes Bein schaute unter der Bettdecke hervor. Der Gips reichte bis zum Knie und war schon mit ein paar Unterschriften bekritzelt. Ich musste lächeln, packte den Kaffee und die Zimtschnecken auf den Nachttisch und setzte mich auf die Bettkante.
Mir war sehr wohl bewusst, dass Miki ein gehöriges Maß an emotionaler und physischer Pein erwartete, wenn sie aufwachte. In welcher Stimmung sie sein würde, stand in den Sternen. Ich wünschte, ich hätte ihr all den Schmerz und die Angst nehmen können. Richards zu schnappen und dafür zu sorgen, dass er aus ihrem Leben verschwand, war ein guter Anfang. Ich berührte ihre Hand. «Guten Morgen.»
Sie regte sich, blinzelte zu mir hoch und wollte sich aufsetzen. Dann fiel ihr wieder ein, dass
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