Broken (German Edition)
massivem Holz, weinroten Teppichen und einer hohen Balkendecke ausgestattet. Zwei mächtige Granitkamine, die vermutlich den ganzen Winter über brannten, waren jetzt kalt. Man sagte uns, dass unsere miteinander verbundenen Zimmer bezugsfertig seien, obwohl die offizielle Eincheckzeit erst um fünfzehn Uhr sei. Mein Zimmer war klein, aber hübsch, eher Lodge als Hotel, mit zu vielen schweren Möbeln. In einer Ecke mit Blick auf den See stand ein Himmelbett aus Mahagoni. Ich schlug die Tagesdecke zurück und inspizierte Bettwäsche und Matratze. Seltsam, ich weiß. Aber ich hab einen Horror vor Wanzen.
Als ich mich auf die Kante des hohen Bettes setzte, kam ich mit den Füßen nicht bis auf den gewebten Vorleger. Ich saß eine Minute lang da, blickte auf das Handgelenk, das mir eine Mörderin aufgeschlitzt hatte, die nachts mit einem Messer in mein Schlafzimmer eingedrungen war. Ich erinnerte mich daran, wie ich meine 10-mm-Glock abfeuerte, wie Blut und Gewebe in mein Gesicht spritzten und mir in Mund und Nase drangen, weil es aus der zerfetzten Halsschlagader der Mörderin sprudelte wie schwarzes Öl in die dunkle Nacht. Und an den Geschmack – anders als alles, was ich bis dahin gekannt hatte.
Wieso brauchte ich so lange, um über die Erinnerungen hinwegzukommen? Ich hatte mich fast mein ganzes Erwachsenenleben mit Sadisten und Psychopathen befasst, ihre Verbrechen analysiert und Täterprofile erstellt, mich mit dem scheinbar unerträglichen Schmerz ihrer Opfer auseinandergesetzt. So viele Menschen hatten so viel Schlimmeres durchgemacht, als ich erlitten hatte. Sie hatten sich weiterentwickelt und waren wieder gesund und heil geworden. An den meisten Tagen ist es wie mit der Narbe an meinem Handgelenk; ich denke nicht dran. Aber wenn die Erinnerung zuschlägt, ist sie so unbarmherzig und schonungslos und unerwartet wie die Mörderin, die in jener Nacht mein Vertrauen erschütterte und mir fast das Leben nahm. Und in diesen wenigen Sekunden bin ich vollkommen hilflos. Ich habe Psychologie und Kriminologie studiert. Ich bin promoviert, verflucht noch mal. Ich wusste auch ohne Dr. Shetty, dass etwas so Simples wie der Blick auf die Narbe ein äußerer Auslöser sein konnte, der mich das Trauma neu durchleben ließ. Die Psyche tut sich entsetzlich schwer damit, eine Gewalttat zu verarbeiten. Ich hatte die Veränderungen in mir bemerkt, mich dabei beobachtet, wie erhöhte Ängstlichkeit und Hypervigilanz in eine Art psychische Taubheit umschlugen. Ich erkannte die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Mein professionelles Ich begriff, dass es in mir passierte.
Ich schrieb gerade im Kopf Einladungen zu meiner Selbstmitleidsparty, als ich ein leises Klopfen an der Verbindungstür hörte. Ich öffnete sie und sah blonde Wimpern aus einer glatten, dunkelgrau-grünen Gesichtsmaske hervorlugen. Damit ihm das Haar nicht in die Stirn fiel, hatte er es mit einem von diesen flauschigen Gummibändern hochgebunden, und es stand ihm kerzengerade auf dem Kopf à la Pebbles Flintstone. Ich musste daran denken, wie sehr ich die Männer in meinem Leben liebte – meinen Dad, Rauser, Neil, Jimmy – und wie albern sie waren.
Ich stand da und glotzte. Ich war völlig sprachlos. Seine Haut war so straff gespannt, dass er einen gruselig breiten Mund hatte wie vielleicht unmittelbar nach einer Schönheitsoperation. Er trug einen weißen Hotelbademantel, der mit Big Knob Resort & Spa über gekreuzten Golfschlägern bestickt war. Hinter ihm auf der Kommode stand sein Espressokocher neben einer gelb-roten Café-Bustelo-Dose. Seine Socken lagen gefaltet und aufgereiht auf dem Bett neben seinen anderen Klamotten, einer beeindruckenden Sammlung an Haar- und Hautpflegeprodukten und Rasierzeug mit Schlangenhautmuster. Ich packe nicht mehr aus, wenn ich auf Reisen bin. Wegen meiner Wanzenphobie. Solange DDT nicht wieder erlaubt wird, bleibt mein Zeug im Koffer.
Neil sprach durch zusammengebissene Zähne, ohne den Mund zu bewegen. «Ich rauch zehn Ninuten.»
«Ninuten?» Ich lachte.
Er versuchte, das Grinsen zu unterdrücken, das die harte Pampe in seinen Mundwinkeln rissig werden ließ. Ein Stück Maske blätterte von der rechten Wange ab. Wir sahen zu, wie es auf den Kiefernholzboden segelte.
«Kannst du mir einen Tampon leihen?», fragte ich, und Neil schlug mir die Tür vor der Nase zu.
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9
W ir überquerten die Hängebrücke und fuhren zu rück in eine der Gegenden, die das touristische Zentrum
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