Brook, Meljean - Die Eiserne See
herum und warten, dass irgendetwas geschieht. Die Soldaten sind fort, darum müssen alle von uns, die noch da sind, nur ihre eigenen Familien versorgen.«
Und so verhielt es sich bei sämtlichen Vorposten: die Arbeiter durften die Mauern verlassen, waren aber Gefangene ihrer Pflichten und der umherziehenden Zombies. »Die Soldaten sind fort? Wohin?«
»Nach Xanadu, zur Verteidigung gegen die Aufständischen – wobei wir Nachrichten von draußen erhalten, dass es gar keinen Aufstand gibt, der niedergeschlagen werden muss.« Nergüi grinste und schnalzte mit der Zunge; sie ließ sich von den offiziellen Verlautbarungen offensichtlich nicht täuschen. »Vielleicht sind sie die Rebellen längst alle losgeworden.«
Richtung Vorposten. Dort arbeiten zu müssen, stellte eine ebensolche Bestrafung dar wie für einen General das Gouverneursamt in einem entlegenen Gebiet. Die große Anzahl von Soldaten machte aus den Vorposten praktisch Arbeitsgefängnisse für ganze Familien. »Und wie verbringt ihr jetzt, wo keine Soldaten mehr da sind, eure Tage?«
»Wir? Ich koche nur. Der Junge baut nur.«
Ach so! Die Alte war auf der Hut – zwar keine Soldatin, aber unsicher, was eine gan tsetseg und ein Fremder hier wollten. Yasmeen erklärte ihr kurz, dass sie nur gekommen seien, um einige Ausrüstung der Barbaren einzusammeln, dann veranlasste sie eine Vermutung zu der Frage: »Hat Terbish seine Maschine aus den Teilen zusammengebaut, die hier zurückgelassen worden sind?«
»Ja.«
Dann war vielleicht gar nichts Nennenswertes mehr zu finden. Aber wozu das Pferd? Wenn Großmutter und Enkel zu den Rebellen gehörten, hatten sie dann vor, es einzusetzen? Es schien ihr genau die Sorte fantasievoller Maschine zu sein, die ein junger Mann bauen würde. »Und eines Tages wird er auf seinem Pferd quer durch das Reich reiten?«
»Nein, nein.« Wenn sie lächelte, hatte Nergüi genauso runde Wangen wie Terbish. »Das ist nur dazu da, auf die andere Talseite zu kommen.«
Als die Sonne aufging, zeigte Terbish ihnen den Hof. Innerhalb der Mauern hätten bequem fünf Luftschiffe festgemacht werden können, dennoch wurde er vollständig von einer dunklen Maschine eingenommen. Yasmeen starrte zu ihr hinauf. Sie sah ungefähr so aus, als hätte jemand einem Berg den Gipfel abgeschlagen und ihn in den Hof gesetzt – allerdings war es ein Berg, der aus Propellern und Kolben, Ventilen und Rohren gebaut war. Bei dieser enormen Größe konnte die Maschine gar nichts anderes als Ehrfurcht gebietend sein, aber wozu sie diente, war völlig unklar. Die Propeller dienten bestenfalls zum Lenken, aber antreiben konnten sie die Maschine nicht – dafür war sie zu massig.
»Was ist das?«, fragte Archimedes, und Yasmeen war froh, dass sie nicht die Einzige war, die sich keinen Reim darauf machen konnte.
»Eine Flugmaschine. Sie ist natürlich noch nicht fertig. Aber noch einmal fünf Jahre, und sie wird fliegen.«
Oha! Wie drückte man das aus, ohne ihn zu kränken? Yasmeen entschied sich für »Sie ist ganz schön schwer«.
Terbish starrte sie an. Dann lächelte er bis über beide Ohren. »Nein. Das sieht nur so aus. Kommen Sie!«
Er lief um die Maschine herum.
Archimedes grinste und spazierte mit ihr hinterher – sie hatten es beide nicht so eilig.
»Ein verblüffender Fund«, sagte er und meinte damit natürlich nicht die Maschine, sondern Nergüi und Terbish.
»Was immer die beste Sorte Fund ist.«
»Ja. Und dabei wird es wohl auch bleiben. Nergüi meint, die Festung ist fast völlig leer geräumt.«
»Dann erfreuen wir uns eben zwei Tage lang an Essen, das nicht von Würmern wimmelt.«
»Bleibt den beiden dann noch genug?«
»Willst du sie kränken, indem du sie das fragst?« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Ich auch nicht. Wie es sich anhört, stocken sie ihre Vorräte regelmäßig auf, und dann können wir ja auch noch unseren Proviant beisteuern.«
Und dagegen ankämpfen, sich dafür zu schämen. Die Stutenmilch allein war reicher im Geschmack und befriedigender als alles gewesen, was sie an Bord der Ceres zu sich genommen hatte. Dennoch hatten Nergüi und Terbish ja vielleicht ihre helle Freude an der Sensation eines solchen Barbarenfraßes.
Der junge Mann wartete bei einem kleinen Vorsprung, der aus der Maschine ragte, und zog sich daran empor. »Kommen Sie nach drinnen!«
Er führte sie zu einer großen Rohröffnung. An der Innenwandung führten noch mehr Leitungen entlang. Yasmeen bückte sich und folgte Terbish hinein. Das
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