Brook, Meljean - Die Eiserne See

Titel: Brook, Meljean - Die Eiserne See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flammendes Herz

Vom Netzwerk:

Geschwindigkeit erreichen wie Yasmeens Himmelsstürmer, vielleicht bestenfalls fünfundvierzig Knoten, aber selbst bei dieser Geschwindigkeit zerzauste ihr der Wind das Haar und schnitt ihr die eisige Kälte ins Gesicht. Yasmeen setzte sich die Brille auf. Archimedes fragte sich vielleicht, ob ihre Tränen vom Wind herrührten oder von der Freude, wieder einmal in der Luft zu sein – aber es war ein und dasselbe. Sie sah zu ihm hinüber und stellte fest, dass er sie durch die Rauchglaslinsen seiner Schutzbrille ansah.
    »Merkst du, welche Gefühle sie in einem auslöst?«, rief sie. »Und wenn man sich gut um sie kümmert, bringt sie einen überallhin. Darum spielt es keine Rolle, auf welche Weise sie ihr Geld verdient. Wenn sie einem ein solches Gefühl verleiht, dann behandelt man sie wie eine Lady.«
    Ach, aber wie sehr ihr ihre eigene Lady fehlte!
    Archimedes blieb stundenlang mit ihr an Deck und schaute zu, wie das Flachland in die großen Wälder überging. Dort war großflächig Holz geschlagen worden, und zwischen den Baumstümpfen wuchsen Sämlinge. Aus dem Wissen heraus, welche Verheerungen man zukünftigen Generationen aufbürden konnte, hatte die Horde im Laufe der Jahrhunderte ein geregeltes System des Ausbeutens und Wiederaufforstens entwickelt.
    Yasmeen näherte sich ihm mit dem Kopf und rief über den Wind hinweg: »Kann es sein, dass wir in Richtung Wien fliegen?«
    Hoffentlich nicht. Dort war nichts zu holen. Aber sagen konnte er auch nichts dazu; Hassan hatte seinen Mittagsschlaf noch nicht beendet, und ihr Treffen mit Ollivier stand noch aus.
    Yasmeen schirmte die Augen von der Sonne ab und zeigte nach Westen. In der Ferne erhob sich wie eine gigantische Zitadelle aus Stein ein Vorposten der Horde.
    »Die steuern gefährlich nahe daran vorbei«, sagte sie. »Haben die keinen Navigator?«
    Er schüttelte den Kopf. Sie hatten noch keine Gelegenheit gehabt, mit irgendjemandem aus der Crew zu reden; dabei waren einige Schiffer an Deck zugange. Unter dem wachsamen Blick von Captain Guillouet wagten sie sich wohl nicht näher. Zunächst hatte Archimedes sich gefragt, ob Yasmeen einfach nur an Deck blieb, um den Mann zu ärgern, doch nein – sie ertrug es einfach nicht, nach unten zu gehen.
    Unter ihnen tauchte ein großer alter Baumbestand auf. Archimedes zeigte auf eine Schneise, die dort hindurchführte. »Ist das eine Straße?«
    Yasmeen runzelte die Stirn. »Ich kann mich nicht erinnern, die schon mal gesehen zu haben. Hast du ein Fernrohr?«
    Sie wollte natürlich nicht den Captain oder die Rudergänger darum bitten. »Schon«, sagte er. »Aber in meinem Koffer.«
    Eine Glocke läutete. Yasmeen riss den Kopf herum und öffnete den Mund, klappte ihn aber wieder zu. Sie bemerkte, dass er sie ansah, und seufzte. »Ist ja nicht mein Schiff.«
    Er brauchte sie nicht zu fragen, wie schwer ihr das fiel. Sie hatte etliche Male angemerkt, was die Crew richtig machte und was sich verbessern ließ. Bei anderen Gelegenheiten hatte sie einfach nur zugesehen und frustriert an ihrer Unterlippe geknabbert, während ihre Finger zu der Schärpe zucken wollten. Wenn er sein Fernrohr holen ging, brachte er ihr am besten auch gleich einen Zigarillo mit – obwohl das Rauchen wenig Spaß machen würde, wenn sie nicht hinter dem Ruderschild auf dem Achterdeck stand. Was sie vielleicht noch mehr verärgerte, als gar keinen Zigarillo zu haben.
    Sie hatte anscheinend beschlossen, das Ganze lieber zu ignorieren, denn sie wandte sich vom Deck ab und sah über die Seite. Als sich die Propeller verlangsamten, drehte sie sich wieder um.
    »Halten wir?«
    Yasmeen sah ihn an, als könnte er etwas mitbekommen haben, während sie nicht aufgepasst hatte, doch er schüttelte den Kopf. Die Schiffer waren in Hektik ausgebrochen, und der Captain gab vom Achterdeck aus Befehle, aber Archimedes konnte die Worte nicht verstehen.
    Die Triebwerke verstummten und ließen nur noch Dampf ab, ohne Schub. Die Schiffer fuhren die Spiere aus, um die Segel zu setzen.
    »Nun schau sich das einer an!« Yasmeens amüsierte Stimme brachte ihn an die Seite zurück. Sie wies nach unten auf eine Lichtung. »Das ist der Häcksler von Jasper Evans. Ich kann’s kaum glauben, dass er es bis hierher geschafft hat.«
    Archimedes glaubte es sofort. Die Maschine, die aussah wie eine Kreuzung aus einem gepanzerten Lastwagen und einem Skorpion, bewegte sich nicht auf gegliederten Beinen vorwärts, sondern auf Gleisketten, mit gigantischen Scheren vorn und