Brooklyn
sich schnell entfernt hätte, so als hätte sie sie nicht gesehen.
»Ob Sie wohl kurz ins Büro kommen könnten?« fragte Miss Fortini.
Eilis fragte sich, ob sie etwas getan hatte, ob jemand sie angeschwärzt hatte.
»Worum geht es?« fragte sie.
»Ich kann es Ihnen nicht sagen«, sagte Miss Fortini. »Am besten, Sie folgen mir einfach.«
Die Art, wie Miss Fortini sich umdrehte und rasch vorausging, ließ Eilis erst recht befürchten, dass sie irgend etwas angestellt hatte, das erst jetzt herausgekommen war. Sie verließen den Verkaufsraum, und sie folgte Miss Fortini einen Korridor entlang. Dann blieb sie plötzlich stehen.
»Tut mir leid«, sagte sie, »aber Sie müssen mir schon sagen, worum es geht.«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen«, sagte Miss Fortini.
»Können Sie mir wenigstens einen Hinweis geben?«
»Es ist etwas mit Ihrer Familie.«
»Etwas oder jemand?«
»Jemand.«
Augenblicklich befürchtete Eilis, dass ihre Mutter einen Herzinfarkt gehabt hatte oder die Treppe hinuntergefallen war oder dass einer ihrer Brüder in Birmingham einen Unfall gehabt hatte.
»Wer von ihnen?« fragte sie.
Miss Fortini gab keine Antwort, sondern ging weiter vor ihrher, bis sie am Ende des Korridors an eine Tür kam, die sie öffnete. Sie ließ Eilis als erste eintreten. Es war ein kleines Zimmer, und Father Flood saß allein auf einem Stuhl. Er stand zögernd auf und bedeutete Miss Fortini, sie allein zu lassen.
»Eilis«, sagte er. »Eilis.«
»Ja. Worum geht es?«
»Um Rose.«
»Was ist mit ihr?«
»Ihre Mutter hat sie heute morgen tot aufgefunden.«
Eilis sagte nichts.
»Sie muss im Schlaf gestorben sein«, sagte Father Flood.
»Im Schlaf gestorben?« fragte Eilis und überlegte, wann sie zuletzt von Rose oder von ihrer Mutter gehört hatte und ob es irgendeinen Hinweis darauf gegeben hatte, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte.
»Ja«, sagte er. »Es kam ganz plötzlich. Gestern war sie noch Golf spielen und bestens in Form. Sie ist im Schlaf gestorben, Eilis.«
»Und meine Mutter hat sie gefunden?«
»Ja.«
»Wissen die anderen Bescheid?«
»Ja, sie kommen mit dem Postschiff heim. Heute nacht ist die Totenwache.«
Eilis fragte sich jetzt, ob es irgendeine Möglichkeit gab, in den Laden zurückzukehren und das alles ungeschehen zu machen, auch dass Father Flood es ihr erzählt hatte. In der folgenden Stille hätte sie ihn fast aufgefordert, zu gehen und nie wieder so wie gerade eben ins Kaufhaus zu kommen, aber sie begriff augenblicklich, wie albern das gewesen wäre. Er war da. Sie hatte gehört, was er gesagt hatte. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen.
»Ich habe ausgemacht, dass Ihre Mutter heute abend zum Pfarrhaus in Enniscorthy geht, und wir können sie dann hier vom Pfarrhaus aus anrufen.«
»War es einer der Priester, der Sie angerufen hat?«
»Father Quaid«, sagte er.
»Sind sie sicher?« fragte sie und streckte dann rasch die Hand aus, damit er nicht antwortete. »Ich meine, das ist alles heute passiert?«
»Heute morgen in Irland.«
»Ich kann das nicht glauben«, sagte sie. »Ohne jede Vorwarnung.«
»Ich habe vorhin mit Franco Bartocci telefoniert, und er sagte, ich sollte Sie nach Hause bringen, und ich habe mit Mrs. Kehoe gesprochen, und wenn Sie mir Tonys Adresse geben, werde ich ihn ebenfalls benachrichtigen.«
»Und was passiert dann?« fragte sie.
»Das Begräbnis ist übermorgen«, sagte er.
Es waren die Sanftheit seiner Stimme, die Scheu, mit der er ihrem Blick auswich, was sie schließlich zum Weinen brachte. Und als er ein großes, sauberes weißes Taschentuch hervorzog, das er eindeutig genau zu diesem Zweck eingesteckt hatte, wurde sie fast hysterisch und stieß ihn zurück.
»Warum bin ich bloß hergekommen?« fragte sie, aber sie wusste, dass er sie gar nicht verstehen konnte, weil sie so schluchzte. Sie nahm ihm das Taschentuch aus der Hand und putzte sich die Nase.
»Warum bin ich bloß hergekommen?« fragte sie noch einmal.
»Rose wünschte sich ein besseres Leben für Sie«, erwiderte er. »Sie hat das einzig Richtige getan.«
»Jetzt werde ich sie nie wiedersehen.«
»Sie war sehr glücklich darüber, wie gut Sie sich hier machen.«
»Ich werde sie nie wiedersehen. Stimmt doch, oder?«
»Es ist sehr traurig, Eilis. Aber jetzt ist sie im Himmel. Daran sollten wir denken. Und sie wird über Sie wachen. Und wir werden alle für Ihre Mutter und für Rose’ Seele beten müssen. Siewissen ja, Eilis, wir dürfen nicht vergessen, dass Gottes
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