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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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Zimmern wohnte und von seiner Hände Arbeit lebte. Sie zerriss den Brief mehrmals; er hatte so geklungen,als würde sie ihn verteidigen, anstatt einfach zu erklären, dass er etwas Besonderes war und sie nicht lediglich deswegen mit ihm zusammen war, weil er der erste Mann war, den sie kennengelernt hatte.
    In ihren Briefen an ihre Mutter hatte Eilis ihn allerdings noch kein einziges Mal erwähnt; zwar hatte sie von Coney Island und dem Baseballspiel berichtet, aber sie hatte lediglich gesagt, sie sei mit Freunden dort gewesen. Jetzt wünschte sie, sie hätte ihn schon vor einem halben Jahr ein-, zweimal beiläufig erwähnt, so dass ihre Mutter jetzt nicht so davon überrascht würde, aber jedesmal, wenn sie versuchte, in ihren Briefen an sie von ihm zu erzählen, merkte sie, dass es nicht möglich war, ohne einen ganzen Absatz über ihn zu schreiben und darüber, wo sie ihn kennengelernt hatte und wie er war. Sie merkte, dass sie das jedesmal wieder hinausschob.
    Rose’ Antwort fiel kurz aus. Es war offensichtlich, dass Father Flood ihr noch einmal geschrieben hatte. Rose sagte, Tony scheine sehr nett zu sein, und da sie beide jung waren, brauchten sie vorerst keine Entscheidungen zu treffen, und was sie am meisten freue sei, dass Eilis diesen Sommer ihre Ausbildung zur Buchhalterin abgeschlossen haben würde und anfangen könne, Berufserfahrung zu sammeln. Sie könne sich denken, schrieb Rose, dass Eilis sich wirklich darauf freute, nicht mehr als Verkäuferin, sondern in einem Büro zu arbeiten, was nicht nur besser bezahlt, sondern auch schonender für ihre Beine sein würde.
    Im Bartocci’s regte sich niemand mehr allzusehr über die farbigen Kundinnen auf, und Eilis wurde mehrmals an andere Ladentische versetzt. Da Miss Fortini den Bartoccis erzählt hatte, dass sie ihre Prüfung bestanden hatte und jetzt in ihrem letzten Jahr war, hatte Miss Bartocci gesagt, sollte eine Buchhalterstelle freiwerden, würden sie Eilis selbst noch vor Abschluss ihrer Ausbildung dafür in Betracht ziehen.
    Das zweite Studienjahr fiel Eilis leichter, weil sie nicht mehr soviel Angst vor dem hatte, was in der Abschlussklausur verlangt werden würde. Und da sie die juristischen Lehrbücher gelesen hatte und sich Notizen gemacht hatte, konnte sie dem, wovon Mr. Rosenblum sprach, größtenteils folgen. Trotzdem war sie weiterhin darauf bedacht, keine Vorlesung zu verpassen und sich mit Tony immer nur an drei Abenden die Woche zu treffen: donnerstags, wenn er sie nach Hause begleitete, freitags, wenn sie zusammen zum Tanzen in den Gemeindesaal gingen, und samstags, wenn er sie in einen Diner und dann ins Kino einlud. Selbst als es Winter in Brooklyn wurde, fühlte sie sich in ihrem Zimmer und ihrem strenggeregelten Leben wohl, und als der Frühling kam, begann sie auch abends nach den Vorlesungen und sonntags zu lernen, damit sie auch ganz bestimmt ihre Abschlussprüfung bestehen würde.

    Sie empfand die Arbeit im Kaufhaus als langweilig und ermüdend, und oft, besonders am Wochenanfang, wenn nicht viel los war, verging die Zeit langsam. Aber Miss Fortini passte immer auf und merkte, wenn jemand zur Unzeit eine Pause machte oder zu spät kam oder nicht bereit schien, die nächste Kundin zu bedienen. Eilis hatte sich stets unter Kontrolle und achtete darauf, ob eine Kundin sie brauchte. Sie fand heraus, dass die Zeit langsamer verging, wenn man ständig auf die Uhr schaute oder überhaupt daran dachte, und so lernte sie, sich in Geduld zu fassen. Sobald dann die Arbeit beendet war und sie das Kaufhaus verließ, schaffte sie es, das alles aus ihrem Kopf zu verbannen und ihre Freiheit zu genießen.
    Als sie eines Nachmittags Father Flood ins Kaufhaus kommen sah, dachte sie sich nichts weiter dabei. Auch wenn sie ihn seit dem Tag, als ihn die Bartoccis geholt hatten, dort nicht mehr gesehen hatte, wusste sie, dass er mit Mr. Bartocci befreundet war, und dachte sich, dass er vielleicht etwas mit ihm zu besprechen hatte. Zunächst redete er mit Miss Fortini, und sie sah, wie ereinen Blick zu ihr hinüberwarf und Anstalten machte, auf sie zuzukommen, dann aber, nach einiger Diskussion mit Miss Fortini, zusammen mit ihr in Richtung Büro ging. Sie bediente eine Kundin, und danach, als sie sah, dass jemand mehrere Blusen auseinandergefaltet hatte, ging sie hin und sortierte sie wieder ordentlich ein. Als sie sich umdrehte, kam Miss Fortini auf sie zu, und der Ausdruck in ihrem Gesicht bewirkte, dass Eilis am liebsten zurückgewichen wäre,

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