Brown, Dale - Feuerflug
haben wir’s versucht. Wir haben ihr rosa Kleider und schwarze Lackschuhe angezogen und ihr Zöpfe mit Schleifchen gemacht. Wir haben ihr Dr. Seuss und Goodnight Moon und Harry-Potter-Bücher vorgelesen.
Aber mit nur einem Jahr – in einem Alter, in dem andere Kinder gerade erst laufen lernen – hat sie das Wall Street Journal und Aviation Week and Space Technology gelesen. Ihr erstes Buch war nicht Nancy Drew oder Powerpuff Girls im Alter von sechs Jahren, sondern sie hat mit dreizehn Monaten Drexlers Nanosystems: Molecular Machinery, Manufacturing and Computation gelesen. Im Jahr darauf hat sie für die Neuauflage von Drexlers Standardwerk selbst einen Beitrag geschrieben.«
Cheryl machte eine Pause und starrte kurz ins Leere, als rufe sie sich die vielen erfreulichen und weniger erfreulichen Augenblicke ins Gedächtnis zurück. »Wir wussten, dass wir sie nicht wie ein gewöhnliches Kind behandeln durften«, fuhr sie fort. »Als Sechsjährige hat sie über Waffen, Theorien, Formeln und Erfindungen diskutiert, bei denen Präsidentenberater geschwitzt und Viersternegenerale gesabbert haben. Sie hat in der Duffield Hall in Cornell, einer Stiftung meines Mannes, einen Lehrauftrag für Nanotechnologie erhalten – eine neunjährige Professorin, die an der Universität ihres Vaters lehrt. Glauben Sie, dass sie sich ängstigt, wenn sie erfährt, wie viele Menschen ein Plasmafeld-Gefechtskopf töten kann oder dass einer ihrer NIRT-Sats eine Tausendkilobombe bis auf fünfzehn Zentimeter genau ins Ziel steuern kann? Sie hat bereits herausgefunden, wie man Supercomputer von der Größe einer Amöbe bauen oder den Mond als Photonen-Energiequelle nutzen kann, die unsere gesamte Erde ein Jahrtausend lang mit Energie versorgen würde. Sie führt Selbstgespräche über den Energiebedarf für Teleportation, während sie mit ihren BarbiePuppen spielt. Anfangs habe ich mir Sorgen gemacht, sie könnte nicht ernst genommen werden; heute mache ich mir Sorgen, ihre Talente könnten vergeudet werden oder – noch schlimmer – in falsche Hände geraten.«
Cheryl sah zu Jon, dann zu Helen hinüber und fragte leise: »Haben Sie Kinder?« Beide schüttelten den Kopf. »Man will immer nur ihr Bestes«, fuhr sie fort.
»Man würde sein Leben hingeben, um ihres zu retten, sein eigenes Glück opfern, um ihres zu sichern. Aber was macht man, wenn das, was die eigene Tochter tut – etwas, das sie wirklich glücklich macht –, die Welt, in der wir leben, erschüttern oder sogar zerstören kann? Lässt man sie diese Erfahrung machen?«
Ihre Stimme war beinahe zu einem Flüstern herabgesunken. »Hat sie einen Unfall mit dem Fahrrad gehabt, ist sie die halbe Treppe hinuntergefallen oder hat sie mit Fieber im Bett gelegen, habe ich manchmal darum gebetet, der Unfall oder die Krankheit solle sie in ein gewöhnliches Kind zurückverwandeln«, sagte sie betrübt. »Aber das war natürlich nie der Fall – sie ist im Gegenteil immer noch intelligenter geworden, als seien die Viren oder Bakterien Millionen weiterer Gehirne, die ihr immer mehr von den Geheimnissen des Universums erzählen.
Aber Sie waren auch ein Wunderkind, Dr. Masters«, sagte sie zu Jon. »Sie können verstehen, was Kelsey durchmacht. Sie hatten Eltern, die Sie ermutigt haben, über Ihr Alter, über Ihre vermeintliche Entwicklungsstufe hinaus zu denken. Wir haben Sie gewählt, weil Sie durchgemacht haben, was Kelsey jetzt erst zu erleben beginnt. Ich glaube, dass es für Sie schwer war, all die institutionellen und durch Vorurteile errichteten Barrieren zu durchbrechen, aber Sie haben’s geschafft. Sie können für Kelsey viel mehr als nur ein Partner sein – Sie können ihr Führer, ihr Mentor sein. Das kann in den Vereinigten Staaten niemand außer Ihnen.«
Cheryl Duffield machte eine Pause, und als sie weitersprach, lag wieder Stahl in ihrer Stimme und in ihrem Blick. »Kelsey weiß genau, was Sie tun, was Sie bauen und wer Ihre Auftraggeber sind«, stellte sie fest. »Sie möchte Ihnen helfen, die beiden nächsten Generationen von Waffensystemen zu bauen, die weit wirkungsvoller sein werden, als Sie oder ich oder sonst jemand, der heute lebt, es sich vorstellen kann. Ihr Vater und ich haben ihr versprochen, ihr das zu ermöglichen, ähnlich wie es auch andere Eltern für ihre Kinder tun. Hier geht’s nicht um Ballett oder Baseball, aber Eltern sollen ihren Kindern ermöglichen, ihre Träume zu verwirklichen, nicht wahr?«
Jon sah wieder zu Kelsey hinüber. Während
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