Brown, Dale - Feuerflug
schloss es 1983 in den beiden Fächern Politische Wissenschaften und Internationale Beziehungen ab. Im gleichen Jahr wurde er in die Harvard Law School aufgenommen und war der erste ausländische Student im ersten Studienjahr, der Herausgeber der angesehenen Zeitschrift Harvard Law Review wurde.
Aber Muammar Gaddhafi war noch nicht mit der Familie Senussi fertig – er brauchte einen Sündenbock, und sie eignete sich bestens dazu. Im Jahr 1977 hatte Gaddhafi in einem kurzen Krieg gegen den einstigen Verbündeten Ägypten eine beschämende Niederlage erlitten; sein Versuch, den benachbarten Tschad und den Sudan zu besetzen, war fehlgeschlagen. Der Versuch, seinen Freund Idi Amin in Uganda zu unterstützen, war ebenfalls fehlgeschlagen; er hatte peinlicherweise vier libysche MiG-25 verloren, als sie zwei F-14 Tomcat der U.S. Navy abzufangen versuchten, die Gaddhafis »Todeslinie« in der Großen Syrte missachteten. Es hatte bereits mehrere erfolglose Attentate auf Gaddhafi gegeben, und in Tobruk kam es zu einem kurzen, aber blutigen Militäraufstand, den der abgesetzte König Idris 1. und seine neu gebildete Senussi-Bruderschaft organisiert und finanziert hatten. Gaddhafi warf den Senussi Anstiftung zum Aufruhr, Hochverrat und Vorbereitung eines Staatsstreichs vor – alles Verbrechen, auf die in Libyen die Todesstrafe stand. Im Jahr 1984 ordnete Gaddhafi an, die gesamte Familie Senussi zu verhaften, die Universität Jaghbũb zu schließen, die Gräber der Senussi-Könige zu öffnen und zu zerstören und die Überreste der Verstorbenen in der Wüste zu verstreuen.
Da er jedoch wusste, dass es politisch inopportun gewesen wäre, die Senussi zu Märtyrern zu machen, ließ er sie entkommen. König Idris I. blieb in Istanbul; die übrigen Familienmitglieder gingen ins Exil, hauptsächlich nach Ägypten und Saudi-Arabien, um nie mehr zurückzukehren. Sobald sie außer Landes waren, ließ Gaddhafi sie jedoch unerbittlich verfolgen. Seine Todesschwadronen schwärmten in weiten Teilen Europas und Afrikas mit dem Auftrag aus, alle Libyer zu ermorden, die sich weigerten, nach Libyen zurückzukehren – und die Senussi standen auf ihrer Liste ganz oben. Der Kronprinz traf mit seiner Familie in Ägypten zusammen und verurteilte öffentlich die Entweihung der Senussi-Gräber; als das öffentliche Exil in Ägypten zu gefährlich wurde, zerstreute sich die Familie.
In Jaghb ũb lagen die historischen Stätten – Moschee, Gräber und Universität – ungenutzt unter der heißen Wüstensonne. Die Universität wurde in ein Stabsgebäude verwandelt; aus der Festung wurde ein Winterpalast für Gaddhafi - ein abgelegener, aber ideal für Propagandaveranstaltungen geeigneter Ort. Um die Entweihung der heiligen Stätten zu tarnen, wurde der Fluss, an dem die Oase liegt, aufgestaut, sodass er die Ebene überflutete und alle Spuren der zerstörten historischen Bauten verdeckte. Damit schien das Erbe der libyschen Könige endgültig beseitigt zu sein.
Dann jedoch erweckte ein weiterer ehrgeiziger, verräterischer libyscher Armeeoffizier das Andenken an die SenussiKönige zu neuem Leben – allerdings aus sehr eigennützigen Gründen. Im Jahr 1990 war Jadallah Salem Zuwayy als Offizier einer Einheit für Spezielle Operationen in Jaghbũb stationiert. Als der Wasserstand des Gaddhafi-Sees, der die SenussiGräber bedeckte, in einem heißen Sommer außergewöhnlich niedrig war, wurden die Ruinen der Königsgräber im Schlamm auf dem Seeboden sichtbar. Obwohl es verboten war, die Gräber zu besichtigen, ging er hin – und als er dabei ertappt wurde, war die Angst vor Gaddhafis Zorn so groß, dass niemand wagte, Zuwayy deswegen anzuzeigen. Die in der libyschen Staatsführung noch immer verbreitete Befürchtung, die Dynastie Senussi könnte eines Tages zurückkehren, brachte ihn auf die Idee, sich als Sohn von König Idris I. auszugeben.
Die Recherche gestaltete sich einfach: Sayed al-Hassan as-Senussi, der erste König des vereinigten Libyens, hatte sechs Söhne und drei Töchter. Nach amtlichen Unterlagen waren es nur fünf ebenso Söhne, aber die Senussi-Könige hatten gewöhnlich drei oder mehr Frauen und adoptierten viele Kinder – weshalb sollte es also keinen sechsten, vielleicht sogar einen siebten Sohn geben? Muhammad, der zweite Sohn, war der offizielle Thronfolger. Nach der Entweihung der Gräber in Jaghbũb war die gesamte Familie ins Exil gegangen – nur einer nicht, so lautete die neue Story: Jadallah, der jüngste Sohn von
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