Brown, Dale - Feuerflug
überlebte und gedieh die Dynastie Senussi. Am 24. Dezember 1951 rief Sayed al-Hassan Ibn Abdullah as-Senussi, der vierte Groß-Senussi, der als Erster zum Emir aller drei libyschen Königreiche gewählt worden war, die Unabhängigkeit seines noch von den Engländern besetzten Landes aus, und erklärte sich selbst – als König Idris I. – zum Herrscher des Vereinigten Königreichs Libyen. Die Familie Senussi bestimmte Tripolis zur Hauptstadt ihres neuen Reichs, behielt aber ihre Hochburg Jaghbũb als Refugium und Familienmoschee; Jaghbũb entwikkelte sich bald zu einer Pilgerstätte für Muslime aus aller Welt, die dort an den Gräbern der großen Nomadenkönige aus der Frühzeit Libyens beteten.
Das unabhängig gewordene Königreich überlebte hauptsächlich durch Kredite seiner arabischen Nachbarn und der Vereinten Nationen, bis britische Geologen im Jahr 1958 in der Wüste südöstlich von Tripolis Öl entdeckten. Libyen stieg buchstäblich über Nacht zu einem der reichsten und strategisch wichtigsten Länder der Welt auf – fast so wichtig wie Ägypten und sein berühmter Suezkanal. Zum Schutz des scheinbar unerschöpflichen Ölstroms, der aus der Wüste kam, bauten erst die Briten, dann die Amerikaner in Libyen einige ihrer größten und wichtigsten Militärstützpunkte. Mit dem neuen Reichtum verbesserte Idris I. die Lebensverhältnisse in den Großstädten, baute moderne Eisenbahnlinien und Hafenanlagen, förderte das Erziehungs- und Gesundheitswesen und machte Libyen wieder für Besucher und Investoren aus aller Welt attraktiv. Wie in alten Zeiten wurden Reisende und Pilger von der Familie Senussi beschützt.
Das alles änderte sich im September 1969, als eine Gruppe junger Armeeoffiziere unter Führung von Muammar Gaddhafi die Monarchie unblutig stürzte. Der König selbst war außer Landes, um sich von einer Augenoperation in der Türkei zu erholen. Idris I. dankte ab und ernannte seinen zweiten Sohn Muhammad zum Thronfolger. Die Familie zog sich nach Jaghbũb zurück, weil sie glaubte, nicht einmal Gaddhafi werde es wagen, eine heilige Moschee zu entweihen, oder zu versuchen, die muslimische Universität zu zerstören.
Als Gaddhafis Herrschaft immer blutrünstiger, gewalttätiger und repressiver wurde und Libyen sich nicht nur vom Westen, sondern auch von vielen seiner arabischen Nachbarn abwandte, begannen viele Libyer sich die Rückkehr der SenussiHerrschaft in Form einer konstitutionellen Monarchie zu wünschen. Jaghbũb wurde zu einem Symbol des vergangenen und des zukünftigen Libyens: die Wurzel von Libyens einstiger Größe und der Quell der Führerschaft eines neuen Libyens für den Fall, dass die Militärdiktatur unterging oder gestürzt wurde.
Kronprinz Sayed Muhammad Ibn al-Hassan as-Senussi von Libyen war in vielen Hauptstädten der Welt willkommen und erklärte überall, mit entsprechender Hilfe von außen, aber auch aus Libyen selbst werde er den Thron besteigen. Muhammad wurde 1962 als zweiter Sohn des Königs geboren. Wie die meisten Senussi vor ihm war er offiziell im Sanktuarium der Großen Moschee von Jaghbũb zur Welt gekommen. In Wirklichkeit hatte Muhammad das Licht der Welt im Krankenhaus der amerikanischen Wheelus Air Force Base erblickt, wo die medizinische Versorgung weit besser als in Jaghbũb war. Die Familie hatte ihre Lektion aus der Geburt des ersten Sohnes al-Mahdi gelernt, der wirklich in Jaghbũb zur Welt gekommen war, aber während der Geburt unter Dehydrierung und Kreislaufproblemen gelitten hatte.
Muhammad begann seine Ausbildung an der Königlichen Militärakademie Tripolis als Vierjähriger und eignete sich die für einen libyschen Prinzen erforderlichen Fertigkeiten – Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion und Reiten – ungewöhnlich rasch an. Obwohl sein Vater ihn zum Theologen und Lehrer bestimmt hatte, gehörte seine ganze Liebe dem Militär. Am liebsten hörte er Geschichten von seinem Großvater, einem General, der den Panzertruppen des deutschen Generalfeldmarschalls Erwin Rommel quer durch die ganze Sahara mit Störangriffen zugesetzt hatte. Aber Muhammad erkannte bald, dass Panzer heutzutage obsolet waren wie Pferde im Zweiten Weltkrieg - eine starke Luftwaffe war der beste Schutz für ein Land, das so groß wie Libyen war und auf einem so großen Kontinent wie Afrika lag.
Nach dem Militärputsch im Jahr 1969 besuchte Muhammad die an der Universität in Jaghbũb eingerichteten Schulen, wurde 1980zum Studium an der Harvard University zugelassen und
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