Brown, Dale - Phantomjäger
Gefechtsstand angetrieben wurden. Turabi rief erneut Bravo sechs, ihre Nachhut. Wieder erfolglos. Haramsadeh! Hundesöhne!
»Volle Deckung!«, brüllte jemand. Turabi drehte sich nach einem lauten Zischen um – gerade rechtzeitig, um etwas, das wie ein riesiger Pfeil oder ein kleiner Jäger aussah, nur wenige hundert Meter entfernt abstürzen zu sehen. Er wusste, dass er sich auf den Boden des Bombentrichters hätte werfen müssen, aber der Anblick eines so großen Gegenstands, der sich so schnell bewegte und so nahe bei ihm einschlagen würde, war auf unheimliche Weise faszinierend. Er wusste nicht, ob dies ein abgeschossener russischer Jabo oder ein Marschflugkörper war, aber das spielte bald keine Rolle mehr. Es gab eine weitere gewaltige Detonation, aber diesmal spürte er nichts davon. Dunkelheit hüllte ihn ein, als sei in seinem Gehirn ein AUS-Schalter betätigt worden.
Turabi kam auf dem harten Wüstenboden liegend wieder zu Bewusstsein. Anfangs bekam er die Augen nicht auf, und als er’s dann endlich doch schaffte, brannten sie von den Rauchschwaden, die über ihn hinwegtrieben. Irgendjemand kippte ihm Wasser über seinen unbedeckten Kopf. Sein ganzer Körper schmerzte, und sein Gesicht fühlte sich abgeschmirgelt und verbrannt an. Auch als der Rauch in eine andere Richtung davontrieb, blieben Rachen und Lunge so schmerzhaft wund, dass er weder befreiend husten noch tief durchatmen konnte, um vielleicht besser husten zu können.
Seine Hände berührten etwas Sprödes, das sich trotzdem leicht zusammendrücken ließ. Turabi erinnerte sich undeutlich, dass der Bombentrichter rechts von ihm liegen musste, deshalb tastete er nach links, um ihn so zu umgehen. Dort lag noch mehr von diesem spröden Material. Er tastete weiter – und stieß auf einen menschlichen Arm. Seine Finger bewegten sich jetzt selbständig. Er ertastete bald einen Rumpf, dann einen Brustkorb. Der Gefallene trug keine Uniform – er trug ein langes Obergewand aus Baumwolle. Dies war einer seiner Männer, ein Taliban. Jetzt wurde ihm auch klar, dass er als Erstes einen zerschmetterten und verbrannten Schädel ertastet hatte.
Turabi wälzte sich rasch auf die andere Seite, aber im nächsten Augenblick ertastete er einen weiteren Toten, der noch schlimmer verstümmelt und verbrannt war als der erste Gefallene. Er brauchte eine gewisse Zeit, um schockiert zu erkennen, dass jemand ihn absichtlich in eine Reihe mit gefallenen Taliban gelegt hatte.
»Nicht so viel bewegen, Oberst«, hörte er eine vertraute Stimme sagen. Turabi sah in die Richtung, aus der sie gekommen war, und erkannte Abdul Dendara, seinen ersten Sergeanten und Adjutanten, der in seiner Nähe hockte. Sein Gesicht war von Rauch und Brandwunden geschwärzt, und seine Kleidung hing in Fetzen herunter.
»Was ist passiert?«, murmelte Turabi. »Sind wir überrannt worden?«
»Überrannt?« Dendara wirkte sekundenlang verwirrt, dann hellte seine besorgte Miene sich schlagartig auf. »Das wissen Sie nicht, Oberst?«, fragte er ungläubig. »Nein, natürlich nicht – Sie waren fast den ganzen Tag lang bewusstlos, haben vielleicht sogar im Koma gelegen. Ihre Truppen haben gesiegt, Oberst!«
»Was?«
»Sie haben die Turkmenen in die Flucht geschlagen. Zum Glück haben Ihre Panzerabwehrhubschrauber das Blatt gewendet. Sie waren anfangs unterlegen, aber Sie haben Ihre Truppen taktisch glänzend eingesetzt und die Oberhand gewonnen. Die Turkmenen sind wie verängstigte Mäuse weggelaufen, und die Russen haben den Rückzug angeführt. Die Stadt Mary ist in Ihrer Hand, Oberst. Meinen Glückwunsch!«
6
Battle Mountain Air Reserve Base, Battle Management Center (BATMAN)
Zur gleichen Zeit
Vier der sechzehn riesigen Farbbildschirme an der Rückwand des Battle Management Center der Battle Mountain Air Reserve Base zeigten Luftwaffengeneral Richard Venti, den Vorsitzenden der Vereinten Stabschefs, der an dieser abhörsicheren Videokonferenz von seinem Dienstzimmer aus teilnahm. Uniformjacke und Krawatte hatte Venti längst abgelegt, und auf seinem Schreibtisch stand ein hohes Glas, in dem Eiswürfel schwammen; Patrick konnte nicht erkennen, ob es nur Wasser oder zur Entspannung nach Dienstschluss einen Drink enthielt. Venti spielte geistesabwesend mit seinem Montblanc-Füller – eine Angewohnheit aus jungen Jahren, als er während des Kalten Kriegs als Jagdflieger in Europa unendlich viele Einsatzbesprechungen über sich hatte ergehen lassen müssen. »Okay, wir können anfangen,
Weitere Kostenlose Bücher