Brown, Sandra - Ein skandalöses Angebot
Mädchen Tränen in die Augen traten. Sie habe eben
das dichte schwarze Haar ihrer Mutter geerbt, beteuerte ihr
Vater, und darauf war Lauren stolz.
Natürlich durfte sie den Hut nicht abnehmen, geschweige
denn ihre Haare offen tragen. Sie besuchte die Locketts,
und für eine junge Dame schickte sich dergleichen in der
Öffentlichkeit nicht.
Missmutig betrachtete sie die dünne Staubschicht auf ihrem dunkelblauen Rock. Ihr grauste vor der Ankunft in diesem wenig präsentablen Aufzug. Was mochte Ben von ihr
denken? Ob er seine Einladung nicht inzwischen schon bereute? Lauren legte großen Wert darauf, dass sie bei seiner
Familie einen guten Eindruck machte.
Sie wischte hektisch über den Stoff, aber vergeblich. Der
Staub war überall.
Ed Travers sagte: »Hier ist es wegen der Trockenheit sehr
staubig. Ben muss mit Engelszungen auf Sie eingeredet haben, sonst hätten Sie das milde Klima von North Carolina
bestimmt nicht verlassen, um in diese verdorrte Einöde zu
kommen.« Es war ihm weiterhin schleierhaft, was es mit
Lauren Holbrooks Besuch bei den Locketts auf sich haben
mochte.
Lauren lachte. »Er musste mich nicht lange überzeugen.
Ich bin auch gar nicht enttäuscht. Ich finde es schön hier.«
»Wie lange werden Sie bleiben?«, rutschte es ihm heraus.
Sie schlug hastig die Augen nieder und ballte die Hände
zu Fäusten. »Ich ... ich ... das steht noch nicht fest.« Sie
fasste sich wieder und fuhr fort: »Es hängt von Mrs. Lockett
ab. Ich soll nämlich ihre Sekretärin werden.«
Ed Travers fiel fast von der Sitzbank. Olivia Lockett mit
einer Privatsekretärin? Was für eine Nummer zog der alte
Ben da wieder ab?
Er schluckte schwer, bevor er mit sich überschlagender
Stimme fragte: »Was sollen Sie denn für Mrs. Lockett machen?«
»Wissen Sie, ich habe meinen Pflegeeltern jahrelang geholfen, ihre Gäste zu unterhalten, sie bewirtet und zwanglos
mit ihnen geplaudert - was man halt so macht. Ben dachte,
ich könnte Mrs. Lockett diesbezüglich ein bisschen unter
die Arme greifen. Außerdem kann ich ihr bei ihrer Korrespondenz helfen. Die Dauer meines Besuches hängt davon
ab, ob sie mich mag und ob wir uns verstehen«, antwortete
Lauren. Während sie ihm ihre Zukunft schilderte, versuchte
sie sich mental damit anzufreunden. Die Ärmste, sann Travers. Er tippte darauf, dass Olivia Lockett das hübsche junge Ding umgehend in den nächsten Zug nach Hause setzen
würde. Olivia duldete nämlich keine Konkurrenz neben
sich. Ein vernichtender Blick aus ihren kühlen, grünen
kreolischen Augen, und das arme Kind wäre völlig verschüchtert.
Intuitiv fühlte Lauren Travers` Bedenken. So ähnlich war
es ihr auch gegangen, als Ben ihr aus heiterem Himmel
dieses Angebot gemacht hatte. Sie war völlig perplex gewesen.
Es hatte missratenen Lammbraten und ungewürztes Gemüse gegeben, das Standardgericht aus Sybil Prathers Küche. Lauren schämte sich insgeheim, weil das Essen nahezu
ungenießbar war, und atmete erleichtert auf, dass Ben Lockett mit scheinbarem Appetit seinen Teller leerte. Allerdings nahm er nicht nach.
Nach dem Essen hatte Lauren sich auf Drängen der Prathers ans Klavier gesetzt und den Gästen vorgespielt. Ihre
Stücke kamen wie üblich gut an, allerdings machte sie der
jubelnde Applaus der Prathers ziemlich verlegen Sybil, ihre
üppigen Rundungen in ein rosa gerüschtes Nachmittagsensemble gepresst, thronte auf einem scheußlich gemusterten
Polstersofa neben ihrem Gatten. Bedauerlicherweise hatte
sie ein Händchen weder für Mode noch für die Gestaltung
des Hauses. Ihr Motto lautete: »Mehr ist besser.« Dunkler
Samt und schwere Brokatstoffe nahmen einem die Luft zum
Atmen. Kerzenleuchter und Vasen aus dunklem Kristallglas
unterstrichen das düstere Ambiente. Tapeten mit altmodischen Drucken und ein rostbrauner Teppich mit großen
Blumen in Gelb- und Orangetönen dominierten die gute
Stube.
Die Pastorenfrau strahlte vor Stolz, als Abel ihre preisgekrönten Rosen erwähnte. Zu ihrer Verblüffung und zu William Kellers Empörung bat Ben darum, Lauren möge ihm
den viel gepriesenen Garten zeigen.
Es war ein schöner, lauer Abend, als Lauren Ben durch
den kleinen Rosengarten führte. Leise ertönte der Gesang
der Zikaden, und sie setzten sich auf eine schmale Bank.
»Züchten Sie Rosen in Texas, Mr. Lockett?«
»Oh ja. Ich habe einen mexikanischen Gärtner, der sich in
Coronado um die Gartenpflege kümmert. Seine Rosen sind
noch viel prachtvoller und duftender als
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