Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
gemeinten Rat, beim nächsten Mal etwas vorsichtiger zu fahren.
Ende 76 hatte sich Bruce’ Haus in Holmdel in sein Hauptquartier verwandelt. Während die Band im Wohnzimmer probte, operierte ein provisorisch zusammengestelltes Management-Team unter Rick Segusos Leitung von zwei zu Büros umfunktionierten Schlafzimmern aus. Um alle wichtigen Verhandlungen und Verträge kümmerte sich Mike Tannen von New York aus, in Holmdel war man für das Tagesgeschäft zuständig. Erschwert wurde die Arbeit dadurch, dass Appel immer noch die Kontrolle über die Finanzen hatte und dessen Anwälte versuchten, alle Einnahmen, die Bruce mit seinen Auftritten erzielte, per einstweiliger Verfügung auf Eis legen zu lassen, bis ein Urteil gefällt war. Bruce, die Band und die Crew steckten in einer Zwickmühle. Sie hatten nicht genug Mittel, um eine Tour zu finanzieren, die wiederum ihre einzige Möglichkeit war, die Band, die Crew, die Roadies und alle anderen zu bezahlen.
»Natürlich waren wir auch vorher schon knapp bei Kasse«, sagt Garry Tallent. »Aber so schlimm war es noch nie gewesen. Wir hatten dieses fantastische Album gemacht und nichts in der Tasche, absolut gar nichts. Wir waren total abgebrannt.« Das zeigte sich auch deutlich an ihrem neuen Tourbus, einem eigentlich schrottreifen Gebrauchtfahrzeug. Er schaffte auf ebener Strecke mit viel Anlauf gerade siebzig Stundenkilometer, bergauf kam er voll beladen überhaupt nicht von der Stelle. Dann mussten alle aussteigen und bis zum Scheitelpunkt zu Fuß weitergehen, wo sie wieder in den Bus stiegen. Bruce ließ sich angesichts der ernsten Lage Zugeständnisse abringen. Von Seguso ließ er sich unter anderem dazu überreden, in Phoenix und Philadelphia in größeren Basketballhallen aufzutreten; allerdings musste speziell für diesen Zweck ein schwarzer Vorhang angefertigt werden, um die Akustik zu verbessern und die Bereiche mit der schlechtesten Sicht auf die Bühne abzutrennen, damit zumindest der Anschein einer gewissen Intimität gewahrt wurde. »Er war absolut dagegen«, sagt Seguso. »Aber andernfalls hätten wir die Leute für ihre Arbeit nicht bezahlen und die Tour nicht am Laufen halten können.«
Wieder daheim verschärften sich die Probleme noch. Da sie keine regelmäßigen Gehaltsschecks mehr bekamen – der Geldfluss war aufgrund des laufenden Prozesses blockiert und viele von ihnen lebten wochenlang auf Pump –, verschlechterte sich das Klima innerhalb der Band. Nach dem großen Erfolg von Born to Run hatten die Musiker mit Boni und einer Honorarerhöhung gerechnet. Weit gefehlt. Wie absurd die Situation war, erkannte Garry Tallent, als er in einer Bar in der Nähe seiner Wohnung in Sea Bright eine Springsteen/E-Street-Cover-band spielen sah, deren Bassist seine Parts nachspielte und damit dreimal so viel verdiente wie er selbst.
Der Winter wurde hart. Heizöl war teurer denn je, und mit der internationalen Anerkennung, die sie genossen, konnten sie die Ritzen in ihren Wänden und Fensterrahmen, durch die eisige Luft hineinzog, nicht stopfen. Früher hatten sich die Bandmitglieder zusätzliche Dollars damit verdient, dass sie nebenbei mit anderen Bands auftraten oder als Studiomusiker anheuerten. Jetzt warteten die Medien nur darauf, Bruce für erledigt erklären zu können – die Geschichte des jungen Mannes, der hoch aufstieg und umso tiefer fiel, wäre ein gefundenes Fressen. Da war es Ehrensache, dass die Reihen geschlossen blieben. Keiner erzählte den Journalisten, wie schlimm ihre Situation war. Loyalität war jetzt wichtiger als alles andere. Ertrag es für das Team, schluck deine Sorgen runter, alles andere wird sich mit der Zeit schon finden. Diese Sprüche hörten sie inzwischen allerdings schon seit über vier Jahren. Mindestens die Hälfte der E Street Band war Anfang 1977 davon überzeugt, dass es mit Bruce’ Karriere nun wirklich vorbei war. Born to Run war vor anderthalb Jahren herausgekommen, und sie konnten immer noch kein Nachfolgealbum aufnehmen. Das Interesse war mittlerweile abgefaut. Außerdem waren die endlosen Aufnahmen zu Born to Run und auch die triumphalen Monate nach der Veröffentlichung weiß Gott keine sorgenfreie Zeit gewesen. »In einer Band zu spielen, macht natürlich Spaß, darum geht es ja auch in erster Linie«, sagt Roy Bittan. »Aber immer schwang die Angst mit, dass gleich hinter der nächsten Ecke der Sensenmann stehen und Bruce’ Karriere den Garaus bereiten würde.«
Mussten sie wirklich mit ihm gemeinsam
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