Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
hitzköpfige Plattenboss war in der Firma beileibe nicht unumstritten und vom Unternehmensvorstand bereits abgemahnt worden. As Bruce und Landau sich nach dieser Geschichte von ihm distanzierten, hatte er zwei weitere Fürsprecher verloren. 1990 war für ihn dann endgültig Schluss bei CBS.
Für Bruce und die E Street Band bot die Amnesty-Tour eine willkommene Abwechslung. Die Musiker genossen das Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Stars und die mehr oder weniger bekannten Mitglieder der einzelnen Begleitbands zusammenschweißte – und das in deutlichem Kontrast zu der Distanz stand, die Bruce während der Tunnel -Tour zu seiner eigenen Band aufgebaut hatte. Zudem war es für alle Beteiligten eine außergewöhnliche Erfahrung, die vielen unbekannten Städte, Länder und Kontinente zu besuchen. »Mir persönlich hat diese Tour von allen am besten gefallen«, sagte Clemons. »Als wir nach Afrika kamen, war das gesamte Publikum schwarz. Es war das erste Mal, dass ich mehr als nur einen Schwarzen auf einem von Bruce’ Konzerten sah. Die Leute trugen alle strahlend gelbe und rote Klamotten, und die Begonien blühten in leuchtendem Purpur. Und ich dachte nur: ›Wow, purpurfarbene Pflanzen und keine Weißen. Das muss das Paradies sein!‹«
Auch für Bruce war diese Tour eine Offenbarung. Endlich konnte er einmal längere Zeit mit Menschen verbringen, die ähnlich kreativ und erfolgreich waren wie er selbst. In den Mußestunden freundete er sich vor allem mit Sting an. Der Brite stammte ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie und war in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Stings Beziehung zu seinem Vater war ähnlich schwierig wie die zwischen Bruce und Doug. »Bruce und ich haben einen Weg gefunden, da rauszukommen«, sagt Sting. »Doch ganz gleich, wie erfolgreich man ist … man will sich doch nicht auf dem Erreichten ausruhen, und das ist gut so. Wer selbstgefällig oder auch einfach nur mit sich zufrieden ist, ist im Grunde genommen ziemlich einfältig. Es ist interessant, dass wir beide uns bemühen, diese verdammte Sache zu begreifen.« Sting hatte mit The Police abgeschlossen und danach mit The Dream of the Blue Turtles und … Nothing Like the Sun zwei sehr erfolgreiche Soloalben herausgebracht. Auch Peter Gabriel hatte noch sehr kreative Phasen und hatte kommerzielle Erfolge gefeiert, nachdem er 1975 bei Genesis ausgestiegen war. Im Verlauf der Tour nutzte Bruce mehrmals die Gelegenheit, Sting und dessen neue Band auf der Bühne zu beobachten, und der Ex-Frontman von The Police bemerkte schnell, wie fasziniert Bruce von dem war, was er sah. »Bruce schaute sich unsere Band an – Branford Marsalis und all die anderen wunderbaren Musiker –, und mir war klar, dass er so etwas auch machen wollte: auch einmal mit anderen Musikern zusammenarbeiten.«
Was er bei Sting auf der Bühne sah, bestärkte ihn darin, sich weiter zu befreien: von den Schatten der Vergangenheit, von den alten Beziehungen, die ihn geprägt hatten, von all den vertrauten Orten, den Sounds und Riffs, die ihm von Jugend an Halt gegeben hatten.
Selbst wenn man die Amnesty-Konzerte im Herbst noch mit hinzuzählt, war die Tunnel -Tour 1988 Bruce’ kürzeste Tournee seit der fünfmonatigen Born to Run -Tour 1975. Als er Mitte Oktober nach Hause kam, wurde es empfindlich kalt. In der Dezemberausgabe des Esquire erschien ein Artikel, der Bruce’ Ruf in jeder nur erdenklichen Hinsicht zu ruinieren suchte. Die bitterböse Titelillustration zeigte Bruce mit einem Heiligenschein, und die Headline – »Saint Boss« (untertitelt: »Has Fame Crucified Bruce Springsteen?«) – griff dieses Motiv auf. Der mehrseitige Artikel von John Lombardi begann mit einer längeren Abhandlung über ein dem Autoren selbst neuen Phänomen, das er »mass hip« nannte. Es folgte ein schlecht geschriebener Bericht über Bruce’ Leben und Karriere, der letztlich – als Krönung des Ganzen – auf die Schilderung eines Konzertbesuchs hinauslief, dem Lombardi allein deshalb nichts abgewinnen konnte, weil es ihm mit seinem Backstage-Ausweis nicht gestattet war, die der Band vorbehaltenen Sanitäranlagen zu benutzen. Zwei Herren vom Sicherheitspersonal verwiesen ihn auf die öffentlichen Toiletten in der Vorhalle, wofür sich der seiner Wahrnehmung nach schwer gedemütigte Autor rächte, indem er O-Töne von Konzertbesuchern sammelte, die offenbar in der hintersten Hallenecke gesessen hatten, wo der Sound etwas zu wünschen übrig ließ. Der Artikel endete kurioser- wie
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