Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Ronald Reagan Bruce politisch hatte vereinnahmen wollen, versuchten nun die ostdeutschen Kommunisten, ihn vor ihren Karren zu spannen. Da in Nicaragua zu jener Zeit der Krieg zwischen der sozialistischen sandinistischen Regierung und den amerikafreundlichen Contra-Rebellen noch andauerte, bewarben sie den landesweit im Fernsehen ausgestrahlten Springsteen-Auftritt als Konzert für Nicaragua. Und obschon Bruce alles andere als ein Befürworter des verdeckten Krieges war, den die Reagan-Administration gegen die Regierung des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega führte, wollte er auch nicht von den kommunistischen Machthabern instrumentalisiert werden.
Vor den Augen von 250 000 Konzertbesuchern und – ein wenig zeitversetzt – noch erheblich mehr Fernsehzuschauern in der gesamten DDR betraten Bruce und die Band die Bühne. Es ging ihnen bei diesem Auftritt um weit mehr als Liebesirrungen und -wirrungen. Von »Badlands« über »Out in the Street«, »The Promised Land«, »War« und »Born in the U.S.A.« bis hin zur ersten Bandversion von »Born to Run« seit 1985 war die Show eine einzige Kundgebung für das Recht auf Freiheit. Um dieses Anliegen zu unterstreichen – und sich der Vereinnahmung durch die DDR-Führung, die ihren Bürgern wesentliche Freiheitsrechte vorenthielt, zu widersetzen – verfasste Bruce eine Stellungnahme, mit der er sich von jeder Regierung und jedem politischen System distanzierte (und die er mithilfe seines deutschen Fahrers ins Deutsche übersetzte): »Es ist schön, in Ostberlin zu sein. Ich bin nicht für oder gegen eine Regierung, ich bin gekommen, um Rock’n’Roll für euch zu spielen, in der Hoffnung, dass eines Tages alle Mauern abgerissen werden.« Als Bruce’ westdeutscher Konzertveranstalter von dieser Stellungnahme erfuhr, bat er eindringlich, das Wort »Mauer« durch den in diesem Kontext weniger eindeutigen und die DDR-Führung weniger kompromittierenden Begriff »Barrieren« zu ersetzen. Bruce berücksichtigte diesen Wunsch zwar, machte seinen weltanschaulichen Standpunkt mit der dieser Ansage folgenden Coverversion von Bob Dylans »Chimes of Freedom« (im Arrangement der Byrds) aber trotzdem mehr als deutlich.
»Ich glaube, damals galt das Ostberlin-Konzert als das größte, das je in Europa stattgefunden hatte«, sagt Landau. Bruce bekräftigte mit dieser Show noch einmal sein Engagement für Menschenrechte, für die er sich auch, wie kurz zuvor angekündigt worden war, im Zuge der zwanzig Konzerte umfassenden weltumspannenden Human-Rights-Now!-Tour einsetzen wollte. Bei diesen Shows, die auf die Arbeit von Amnesty International aufmerksam machen und Spenden für die Organisation generieren wollten, teilte sich Bruce eine Bühne mit Sting, Peter Gabriel, der jungen, aufstrebenden Folksängerin Tracy Chapman und dem nigerianischen Sänger Youssou N’Dour. Bedenkt man, welche engen Kontakte Amnesty auf der ganzen Welt zu politisch linksorientierten Gruppierungen und Regierungen unterhält, bezog Bruce mit seiner Unterstützung der Menschenrechtsorganisation auch politisch Stellung. Die sechswöchige Tour – die an verschiedenen Orten in Afrika, Europa, Asien, Indien sowie Süd-, Zentral- und Nordamerika Station machte – sorgte international für weit weniger Aufsehen als in der Chefetage von CBS, wo Walter Yetnikoff regelrecht ausrastete, als er erfuhr, dass Bruce sich von Amnesty einspannen ließ.
Heute gibt Yetnikoff zu, dass seine Reaktion nicht ganz angemessen war. Als Jude hegt er große Sympathien für den Staat Israel, dessen Regierungen von Amnesty International regelmäßig für die Menschenrechtssituation in ihrem Land kritisiert werden. Yetnikoff ärgert sich auch heute noch über Amnestys seiner Meinung nach völlig überzogene und einseitige Kritik an Israel. »Ich rief also Landau an und erklärte ihm, dass ich stinksauer war wegen dieser Geschichte. Aber er meinte nur: ›Lass dich mit Bruce besser nicht auf politische Diskussionen ein.‹« Landau bot noch an, gemeinsam mit dem Vorsitzenden von Amnesty International, Jack Healey, in Yetnikoffs Büro vorbeizukommen, um die Angelegenheit in Ruhe zu besprechen, doch der CBS-Boss nahm die Anrufe des Managers nicht mehr entgegen. »Habe ich gesagt, dass ich im Recht war?«, fragt Yetnikoff. »Ich war gerade auf einem scheiß Egotrip. Natürlich war ich nicht im Recht, und mit Bruce hat ganz sicher auch der Falsche meine Wut zu spüren bekommen. Aber ich hatte damals einfach viele Probleme.« Der
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